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Kommt das Coronavirus doch aus einem Labor?

Es klingt wie aus einem Science-Fiction-Roman: Da breitet sich ein neuartiges Virus aufgrund eines Laborunfalls zuerst in China aus – bis es schliesslich die ganze Menschheit bedroht und ein gesellschaftliches Chaos hinterlässt. Wieso diese futuristisch anmutende Laborthese nun doch plötzlich wieder an Aktualität gewinnt und alles andere als unmöglich ist. Ein Kommentar.
(Bild: Envato)

Es klingt wie aus einem Science-Fiction-Roman: Da breitet sich ein neuartiges Virus aufgrund eines Laborunfalls zuerst in China aus – bis es schliesslich die ganze Menschheit bedroht und ein gesellschaftliches Chaos hinterlässt. Wieso diese futuristisch anmutende Laborthese nun doch plötzlich wieder an Aktualität gewinnt und alles andere als unplausibel ist. Ein Kommentar.

Wir schreiben das Jahr 2019. Auf einem Markt in der grossen chinesischen Industriestadt Wuhan soll es passiert sein: Das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 soll – sehr salopp ausgedrückt – von einer Fledermaus via Zwischenwirt auf den Menschen übergesprungen sein. Man spricht hier von einer sogenannten Zoonose, eigentlich nichts Ungewöhnliches. Von der chinesischen Metropole aus verbreitete sich dann schliesslich das Virus in rasantem Tempo. So in etwa lautete lange die gängige Erklärung zum Ursprung des Erregers. Doch es gibt da noch eine andere Hypothese.

Wuhan ist nicht nur eine grosse Industriestadt, sie ist auch eine Forschungsstadt, denn das Institut für Virologie in Wuhan beherbergt die grösste Virusbank des asiatischen Kontinents. Bestimmte Forschende vertreten die Meinung, das Virus stamme ursprünglich aus einem Labor und sei aufgrund eines Missgeschicks in die Umwelt gelangt.

Prominentester Vertreter dieser Hypothese im deutschsprachigen Raum ist wohl der Nanowissenschaftler Prof. Dr. Roland Wiesendanger, der an der Universität Hamburg lehrt und forscht. Bereits vor einem Jahr machte er in einer Pressemitteilung der Universität Hamburg deutlich: Sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien für einen Laborunfall in Wuhan sprächen als Ursache der Pandemie. Mit dieser Veröffentlichung hatte er eine breit angelegte Diskussion als Ziel.

Diese scheint nun langsam zu keimen. Erst vor kurzem gab der Wissenschaftler dem deutschen Magazin «Cicero» und der «Neuen Zürcher Zeitung» jeweils ein Interview. So sollen durchgesickerte E-Mails des Immunologen und Leiter des US-amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) Anthony Fauci zeigen, dass Virologen weltweit bewusst versucht hätten, die Laborherkunft zu vertuschen und die Hypothese kleinzureden (mehr dazu später).

Das Magazin «Cicero» schreibt: «An dieser Vertuschungsaktion waren internationale Experten beteiligt – darunter auch Christian Drosten.» Die öffentliche Diskussion nimmt schliesslich an Fahrt auf. Drosten wehrt sich nun über mehrere Kanäle wie Twitter oder in Publikumsmedien wie z. B. in der «Süddeutschen Zeitung».

Nun gut. Zurück zur Laborhypothese. Von welchen Indizien spricht Wiesendanger in der Pressemitteilung überhaupt? Der Forscher führte eine interdisziplinäre Untersuchung durch, die zwar «keine hochwissenschaftlichen Beweise, wohl aber zahlreiche und schwerwiegende Indizien» lieferten. So sei für die Fledermaus-Theorie bis heute kein Zwischenwirtstier nachgewiesen worden. Dies gibt beispielsweise auch der kritisierte Virologe Christian Drosten zu, der bekanntlich die Fledermaus-Hypothese vertritt. Auch er finde es auffällig, dass es hierzu erstaunlich wenig Daten gebe, wie er der «Süddeutschen Zeitung» berichtet.

Nun gut. Dieses Indiz schwächt womöglich die Fledermaus-Theorie. Aber was stärkt denn die Laborhypothese? Die berühmt berüchtigte und bereits in zahlreichen Medien kursierende Furin-Spaltstelle am Spike-Protein des Coronavirus. Dank dieser Spaltstelle verbunden mit Zellrezeptor-Bindungsdomänen könnten die Sars-CoV-2-Viren erstaunlich gut an menschliche Zellrezeptoren ankoppeln und in die Zelle eindringen, heisst es im Communiqué. «Beide Eigenschaften zusammen waren bislang nicht bekannt und weisen auf einen nicht-natürlichen Ursprung des Sars-CoV-2-Erregers hin.» Hier widerspricht Drosten. Er sagt der «Süddeutschen Zeitung», dass die Diversität dieser Viren noch nicht gut erforscht sei, weshalb die Furinspaltstelle zwar auffällig, aber kein Beweis für einen nicht-natürlichen Ursprung sei.

Aussage gegen Aussage. Die Furin-Spaltstelle bringt uns (zurzeit) nicht wirklich weiter. Aber sie ist auch nicht das wichtigste Argument des Hamburger Forschers. Denn die Fledermäuse, die in Betracht kommen, die Ursprungsform des Sars-CoV-2-Virus in sich zu tragen, wurden auf dem besagten Fischmarkt in Wuhan gar nicht angeboten. Sie leben 2000 km weit von Wuhan entfernt. Gut, man könnte sagen, die Viren seien über einen Zwischenwirt, den wir allerdings nicht kennen, nach Wuhan gelangt. Wieder Aussage gegen Aussage? Vermutlich ja.

Coronaviren von Fledermäusen gibt es allerdings in Wuhan und zwar im Forschungslabor des virologischen Instituts der Stadt. Und dort wird mit einem ethisch fragwürdigen Prozedere geforscht: mit der sogenannten Gain-of-function-Methode. Dabei werden Mutationsprozesse induziert, um Erreger wie beispielsweise Viren virulenter oder übertragbarer zu machen. Ziel ist es, mit dieser Methode bessere Wirkstoffe oder Impfstoffe entwickeln zu können. Kritisiert wird diese Forschung gerade deshalb, weil ein Unfall schwerwiegende Folgen haben könnte, wie zum Beispiel eine Pandemie. Und gerade hier liegt der Hund begraben: Der zuvor erwähnte Immunologe Fauci soll laut US-Republikanern die Forschungen an Coronaviren am Institut für Virologie in Wuhan mitfinanziert haben, weshalb ein Interesse darin bestand, bereits schon nur die Hypothese eines Laborunfalls herunterzuspielen.

Drosten sagt zur «Süddeutschen Zeitung», dass in dem Labor in Wuhan zwar Fledermausviren neue Eigenschaften eingebaut worden seien, aber nicht solchen, die als Vorgänger von Sars-CoV-2 infrage kämen. Woher er dies aber so genau weiss, sei dahingestellt. Denn die chinesische Regierung war alles andere als transparent, wenn es darum ging, den Ursprung des Coronavirus zu entschlüsseln.

Die Labor-Hypothese ist keineswegs vom Tisch. Es gibt sie beide: Forschende, die glauben, das Virus sei natürlichen Ursprungs und Wissenschaftlerinnen wie Wissenschaftler, die sagen, nein die Laborhypothese sei nie richtig ernst genommen worden und sei auch möglich. Einige Forschende stellten dies beispielsweise in einer vergangenen «Science»-Ausgabe klar.

Die Diskussion wird also weiterlaufen. Auch wenn man aus Pragmatismus heraus sagen könnte, das sei ja egal, das Virus ist ja bereits da. Die Debatte um den Ursprung ist aus wissenschaftlicher Sicht und vor allem auch aus Respekt vor allen Menschen, die aufgrund einer Corona-Infektion verstorben sind oder ihre Liebsten verloren haben, enorm wichtig. Sie verdienen es, dass man alle Hypothesen ernst nimmt und hierzu zählt ganz besonders auch die Labor-Hypothese.

Eine ganz wichtige Frage steht dank Prof. Dr. Roland Wiesendanger auf jeden Fall im Raum:

War eine Forschung wie die Gain-of-function-Forschung ethisch überhaupt jemals vertretbar und weshalb hat man nicht früher darüber gesprochen?

Roger Bieri

Nachtrag zum Thema

In der Zwischenzeit haben 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter die «Hamburger Erklärung 2022» unterzeichnet. Darin fordern sie einen weltweiten Stopp der risikoreichen Gain-of-Function-Forschung an potenziellen Pandemieerregern. Mehr hierzu lesen Sie im ChemieXtra-Artikel «Verbot der risikoreichen Gain-of-Function-Forschung gefordert» vom 28. Februar 2022.

ChemieXtra

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