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Bauten als Barriere – wie Gebäude unser Mikrobiom beeinflussen

Eine Forschungsgruppe beschreibt eine völlig neue Dimension der Mikrobiomforschung und weist auf einen bislang kaum untersuchten Faktor hin: Die Auswirkungen der Beschaffenheit von modernen Gebäuden auf die Mikrobenbesiedlung. Muss die Stadt- und Gebäudeplanung jetzt umdenken und künftig die menschliche Gesundheit besser berücksichtigen?
Die Schweiz im Bau-Boom: Moderne Architektur in Zürich. (Bild: L. Meister, 2018)

Eine Forschungsgruppe beschreibt eine völlig neue Dimension der Mikrobiomforschung und weist auf einen bislang kaum untersuchten Faktor hin: Die Auswirkungen der Beschaffenheit von modernen Gebäuden auf die Mikrobenbesiedlung. Muss die Stadt- und Gebäudeplanung jetzt umdenken und künftig die menschliche Gesundheit besser berücksichtigen?

In den letzten 20 Jahren hat sich in den Lebenswissenschaften die Erkenntnis durchgesetzt, dass alle Lebewesen – von den einfachsten tierischen und pflanzlichen Organismen bis hin zum Menschen – in enger Verbindung mit einer Vielzahl von Mikroorganismen leben. Gemeinsam mit dem vielzelligen Wirtsorganismus stellen diese symbiotischen Bakterien, Viren und Pilze, die sich auf und in ihren Geweben ansiedeln und das sogenannte Mikrobiom bilden, eine vor allem vorteilhafte Lebensgemeinschaft in Form eines Metaorganismus dar.

Viele Lebensprozesse, einschliesslich der Gesundheit und Krankheit des Gesamtorganismus, können nur im Zusammenhang dieser funktionellen Zusammenarbeit zwischen Wirtsorganismus und Mikroorganismen verstanden werden, etwa bei der Nährstoffaufnahme, Immunfunktion oder neuronalen Prozessen. Der Lebensstil in den industriell geprägten Gesellschaften führte in den vergangenen Jahrzehnten jedoch dazu, dass die Vielfalt des menschlichen Mikrobioms sukzessive verarmte und dies zur Entstehung von sogenannten Umwelterkrankungen beitrug, zum Beispiel entzündliche Darmerkrankungen, Typ 2-Diabetes oder neurodegenerative Krankheiten.

An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) werden Wirts-Mikroben-Interaktionen und ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Krankheit im Detail untersucht. Eine internationale Forschungsgruppe rund um das «Humans and the Microbiome»-Forschungsprogramm des Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) in Toronto schlägt in einer Perspektivarbeit eine neue Dimension für die Untersuchung des menschlichen Mikrobioms und einen Paradigmenwechsel in der Stadt- und Gebäudeplanung vor: Darin diskutieren sie den Einfluss der sogenannten bebauten Umwelt auf die Zusammensetzung und Vielfalt des Mikrobioms.

Die Forschenden vertreten die Hypothese, dass moderne Gebäude je nach Beschaffenheit und Grad der Abschirmung gegenüber der Umwelt einen bedeutenden Einfluss auf die menschliche Mikrobenbesiedlung ausüben und dieser Aspekt künftig in der Architektur im Sinne von gesunden und mikrobiomfreundlichen baulichen Bedingungen berücksichtigt werden sollte. Ihre Arbeit zu den Auswirkungen der bebauten Umwelt auf die menschliche Gesundheit wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.
 

Unterbrochener Kontakt mit Mikroorganismen aus der Umwelt

Das menschliche Streben nach Unterkunft und Schutz vor den Elementen ist so alt wie die Menschheit selbst, seit Tausenden von Jahren erschufen Menschen überall auf der Welt verschiedenste Behausungen und entwickelten diese bis hin zur Architektur der Gegenwart weiter – in naher Zukunft werden mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Insgesamt hat der urbane Lebensstil in Kombination mit vielen weiteren Faktoren dafür gesorgt, dass sich die Lebenserwartung und -qualität für einen Grossteil der Menschheit deutlich verbessert haben.

«Gebäude als solche und der Siegeszug des urbanen Lebens haben jedoch auch negative Auswirkungen hervorgebracht, indem sie den Menschen mehr oder weniger stark vom Kontakt mit seiner mikrobiellen Umwelt abschirmen. Ihre vermutlich ungünstigen Folgen für die Zusammensetzung und Vielfalt des menschlichen Mikrobioms sind in ihrem Umfang bisher noch kaum abzuschätzen», erklärt CAU-Professor Thomas Bosch.

Bestimmte Eigenschaften moderner Gebäude scheinen mehr oder weniger ausgeprägte Nachteile für die Gesundheit zu verursachen, da sie den Kontakt mit der Vielzahl von Mikroben der natürlichen Umwelt unterbinden und in Summe negative Effekte auf die mikrobielle Vielfalt ausüben können. (Grafik: Katja Duwe-Schrinner)

Den Hauptgrund dafür sehen die Forschenden darin, dass unser heutiges Leben in bebauten Umgebungen zunehmend den Kontakt mit der Vielzahl von Mikroben der natürlichen Umwelt unterbindet. Zudem müsse man Gebäude selbst als komplexe organische Systeme im Sinne von zahllosen, voneinander abhängigen mikrobiellen Gemeinschaften betrachten, die sich ebenfalls auf den menschlichen Metaorganismus auswirken.

Zusammengenommen hat dies negative Folgen, etwa indem in Gebäuden neue Nischen für Krankheitswirte und -überträger geschaffen werden, sich Abfälle und toxische Stoffe (wie flüchtige organische Verbindungen) konzentrieren oder die Belüftung und der Eintrag von Sonnenlicht verringert sind. All dies beeinflusst wiederum das menschliche Mikrobiom auf vielfältige Weise: So entstehen in der bebauten Umwelt beispielsweise neuartige Reservoire von an den Menschen angepassten schädlichen Mikroben, es wird dort die Exposition des einzelnen Menschen gegenüber nützlichen Mikroben verringert oder das menschliche Verhalten dahingehend verändert, sodass eine natürliche und förderliche Übertragung von Mikroorganismen zwischen Menschen gehemmt wird. «Wenn man die menschliche Gesundheit so definiert, dass sie von einer grossen Vielfalt des Mikrobioms abhängig ist, dann muss man einen Grossteil der heutigen Gebäude mit Blick auf Konstruktion und Design, Materialien oder Art der Nutzung als für die Gesundheit nicht zuträglich betrachten – denn in Summe scheinen ihre Effekte die mikrobielle Vielfalt zu verringern, was zu einer insgesamt schlechteren Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner führen könnte», betont Bosch.

Durchlässigkeit wiederherstellen

Gebäude sorgen seit ihrer Erfindung häufig unbeabsichtigt auch für gesundheitliche Beeinträchtigungen, obwohl Menschen immer wieder versuchten, sie gesünder und sicherer zu machen. Die Beschäftigung mit den Zusammenhängen von Architektur und Gesundheit ist also keineswegs neu und eine entscheidende Frage in der Gegenwart ist: Wie kann man Gebäude für eine bessere Gesundheit entwerfen und so konstruieren, dass ein komplexes und vielseitiges Mikrobiom dort überleben kann?

«Unsere urbane Lebensweise ignoriert, dass der Körper sich im Laufe der Jahrtausende mit seiner Umwelt und seinen Mikroben bestens arrangiert hat und dass er nur als Ganzes fit und gesund ist.»

Prof. Thomas Bosch, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)

«Mit unserer Betrachtung der Auswirkungen von Gebäudeeigenschaften auf das menschliche Mikrobiom fügen wir diesem Komplex eine gänzlich neue, bedeutenden Dimension hinzu. Unsere urbane Lebensweise ignoriert, dass der Körper sich im Laufe der Jahrtausende mit seiner Umwelt und seinen Mikroben bestens arrangiert hat und dass er nur als Ganzes fit und gesund ist. Nur wenn wir diese multi-organismische Komplexität annehmen, werden wir zu einem tiefen Verständnis von Gesundheit und damit zu einem Verstehen der Umwelterkrankungen kommen. Die durchaus revolutionäre Betrachtung von Lebewesen und Mikroben als funktionelle Einheit wird in Zukunft auch die Grenzen der Städteplanung verschieben. Wir bieten hier innovative wissenschaftliche und angewandte Perspektiven für die Entwicklung einer künftigen, mikrobiomfreundlichen Architektur, die einen natürlichen und gesunden Kontakt des Menschen mit Mikroorganismen auch in der bebauten Umwelt wieder zulassen soll», fährt Bosch weiter.

Professor Thomas Bosch von der CAU schlägt gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen vor, künftig den Einfluss von Gebäudeeigenschaften auf die Zusammensetzung und Vielfalt des Mikrobioms stärker zu berücksichtigen. (Bild: Enver Hirsch)

Voraussetzung dafür sei es, dass man Gebäude künftig mit dem zusätzlichen Zweck einer dosierten und gelenkten Exposition des Menschen speziell mit Mikroorganismen entwickle – und sie nicht mehr wie bisher ausschliesslich als Barriere zur Abwehr von Umwelteinflüssen verstehe. Ein Ziel könne also sein, die bebaute Umwelt künftig so zu planen und auszuführen, dass dabei nicht die vollkommene Abschottung gegenüber der natürlichen, eben auch mikrobiellen Umgebung im Vordergrund steht.

Im Gegenteil: Gebäude kann man der Natur gegenüber wieder öffnen und naturfreundlicher gestalten. Dies kann beispielsweise durch die Verwendung von weniger toxischen Baumaterialien und die Schaffung einer insgesamt grösseren baulichen Durchlässigkeit gegenüber äusseren, insbesondere mikrobiellen Einflüssen gelingen. «Mit dieser Sichtweise erweitern wir unseren Blick auf das menschliche Mikrobiom grundlegend und stellen einen direkten Bezug zur bebauten Umwelt und modernen Städteplanung her», fasst Bosch zusammen.

www.bosch.zoologie.uni-kiel.de
www.kls.uni-kiel.de 
www.metaorganism-research.com
https://cifar.ca

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