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Weshalb wir synthetische Treibstoffe brauchen

Dem Grossteil der zivilen Luftfahrt werden in absehbarer Zeit keine Elektro- oder Wasserstoffantriebe zur Verfügung stehen. Schon bald werden aber synthetische Treibstoffe bei der Reduktion von klimaschädlichen Emissionen die Hauptrolle übernehmen. Ihr Vorteil: Sie können ab sofort eingesetzt werden, ohne die bestehende Infrastruktur zu erneuern. Doch so einfach ist es nicht.
Vorerst beigemischt und langfristig Hauptbestandteil des Treibstoffs: Künstliches Kerosin. (Bild: Shutterstock)

Dem Grossteil der zivilen Luftfahrt werden in absehbarer Zeit keine Elektro- oder Wasserstoffantriebe zur Verfügung stehen. Schon bald werden aber synthetische Treibstoffe bei der Reduktion von klimaschädlichen Emissionen die Hauptrolle übernehmen. Ihr Vorteil: Sie können ab sofort eingesetzt werden, ohne die bestehende Infrastruktur zu erneuern. Doch so einfach ist es nicht.

Schon bei kleinen Elektro- und Wasserstoffflugzeugen mit einer Kapazität von rund 30 Passagieren gibt es grosse Probleme bei der Energiedichte: Die Batteriemodule sind schwer, müssen gekühlt werden und halten aufgrund der starken Beanspruchung nicht lange. Auch Wasserstoff beansprucht viel Volumen und muss daher für die Speicherung verflüssigt, also bis -253 Grad heruntergekühlt werden, eine technische Herausforderung. Bis 2035, wenn Airbus den Betrieb seines Wasserstoff-Mittelstreckenflugzeuges aufnehmen will, dauert es noch zwölf Jahre – Verzögerungen exklusive.

Weniger strahlungsaktive Kondensstreifen

Da 73 Prozent der Luftfahrtemissionen im Bereich der Mittel- und Langstrecke entstehen, liegt es auf der Hand: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen bei den grösseren Flugzeugen andere Lösungen her. Theo Rindlisbacher, Bundesamt für Zivilluftfahrt, Sektion Umwelt: «Nachhaltige Drop-in-Treibstoffe – längerfristig synthetische kerosinähnliche Treibstoffe – sind die bedeutendste Massnahme zur Reduktion der Klimawirkung im Luftverkehr.» Die sogenannten Sustainable Aviation Fuels (SAF), auch als Synfuels bezeichnet, sind bei den meisten Flugzeugtypen umgehend einsetzbar, da sie keine technische Anpassung an Treibwerken, Transport-, Lager- und Betankungssystemen erfordern. Zumindest mit einem Beimischungsverhältnis von bis zu 50 Prozent. Theoretisch könnten neue Flugzeugtypen ab 2030 zu 100 Prozent mit SAF fliegen, praktisch wird es gemäss Spezialisten wohl eher bei 75 Prozent sein. In beiden Fällen müssen Triebwerke neu ausgelegt werden, etwa mit angepassten Dichtungsmaterialien.

Zu den SAF gehören auch biogene Kraftstoffe, die aus Altspeiseölen oder organischen Abfällen hergestellt werden. Doch diese werden als Ersatz fossiler Treibstoffe bei weitem nicht ausreichen und ein Anbau pflanzlicher Rohstoffe für dessen Herstellung konkurrenziert die Nahrungs- und Futtermittelproduktion unnötig. Ressourcentechnisch machen synthetische Treibstoffe Sinn, da sie einen geschlossenen Kreislauf bilden können. Werden deren Hauptbestandteile, Kohlendioxid und Wasserstoff, in Methan umgewandelt und verbrannt, entsteht gleichviel Kohlendioxid und Wasser.

Auf diesem Grundprinzip der zirkulären (inneren) CO2-(und Wasser-)Nutzung bauen synthetische Energieträger auf: Die Nutzung erzeugt nur so viel CO2, wie zuvor für die Herstellung aus der Atmosphäre entzogen wurde. (Grafik: Empa)

Künstliches Kerosin reduziert nicht nur den CO2-Ausstoss und die Feinstaubbelastung an Flughäfen, sondern soll auch weniger Kondensstreifen bilden. Gemäss Experten könne das SAF-Design nicht nur so ausgelegt werden, dass es die Kondensstreifen weniger strahlungsaktiv macht, sondern auch bei der Verbrennung weniger CO2 freigesetzt wird. Darüber hinaus entstehen bei der Verbrennung von SAF weniger SLCF, die man kompensieren muss (indem etwa entsprechende Mengen CO2 aus der Luft abgeschieden und unterirdisch eingelagert werden).

SLCF und Nicht-CO2-Effekte

«Short-Lived Climate Forcers» sind kurzlebige Emissionen mit Lebenszeiten in der Atmosphäre zwischen Stunden und wenigen Jahrzehnten. Bedeutend sind Methan (CH4), Schwefeldioxid (SO2), Stickoxide (NOX) und Kohlenmonoxid (CO). Neben den CO2-Emissionen sind diese Nicht-CO2-Effekte für den grösseren Teil des Treibhauseffekts beim Fliegen verantwortlich. Dazu gehören Russpartikel und Stickoxide, die in der Luft zu Methan und Ozon reagieren, Wasserdampf und Kondensstreifen, die zur Bildung von Zirruswolken in der oberen Atmosphäre führen. «Diese Faktoren werden bislang in vielen Analysen und Nettonull-Versprechen ausser Acht gelassen», sagt Romain Sacchi vom Labor für Energiesystemanalysen am PSI.


Zwei Schweizer Hersteller am Start

Eine industrieweite Nutzung der alternativen Treibstoffe scheiterte bislang an der verfügbaren Menge und den hohen Kosten. Bislang waren nur wenige Raffinerien auf der Welt in der Lage gewesen, SAF zertifiziert und ausreichend zu produzieren. Dies soll sich nun ändern. Am Paul Scherrer Institut in Villigen entsteht derzeit eine Pilotanlage von Metafuels. Das Schweizer Unternehmen setzt auf eine Technologie, die grünes Methanol effizient in SAF umwandelt. Grünes Methanol kann aus grünem Wasserstoff und grünen Kohlenstoffoxiden (CO und CO2) hergestellt werden, wobei in einer Anfangsphase vermutlich auch blaues CO2 aus unvermeidbaren industriellen Quellen wie Stahl- oder Zementwerken und Müllverbrennungen beziehen könnte, das reichlich verfügbar ist. Das neue Verfahren basiert auf einem innovativen Katalysatorsystem «mit hoher Selektivität und Ausbeute», wie Ulrich Koss, Chief Technologist bei Metafuels, erklärt. «Wir haben die im Flugbenzin erwünschten Moleküle erfolgreich hergestellt und das Patent eingereicht.» Ab 2025 rechnet das Unternehmen mit seiner ersten Lizenz, ab 2026 sollen auf Anlagen 700 Millionen Liter pro Jahr hergestellt werden.

Mit einem anderen Unternehmen kooperiert die Swiss, die bis 2030 ihre CO2-Emissionen gegenüber 2019 um 50 Prozent reduzieren und bis 2050 CO2-Nettonull anstrebt. Synhelion entwickelt ein Verfahren, das mit Hilfe von konzentriertem Sonnenlicht CO2-neutralen «Solartreibstoff» herstellen will. In Jülich, Deutschland, wird hierfür gerade ein Testanlage aufgebaut, die konzentrierte Sonnenstrahlung in Hochtemperatur-Prozesswärme umwandelt. Diese wird einem thermochemischen Reaktor zugeführt, der Synthesegas, ein Gemisch aus H2 und CO, produziert. Dieses wird darauf mit der üblichen Gas-to-Liquids-Technologie zu Kraftstoffen wie Benzin, Diesel oder Flugzeugtreibstoff verarbeitet. Die Swiss soll im Laufe des kommenden Jahres Erstabnehmerin werden.

Bei der Swiss können Kunden ihren CO2-Ausstoss indirekt kompensieren. Da in der Schweiz noch keine SAF-Tankinfrastruktur vorhanden ist, erfolgt dies über die Lufthansa-Gruppe. Bei der Buchung des Tickets kann man SAF einkaufen, der dann in Frankfurt ins Tanksystem eingespiesen wird und für einen anderen Flug eingesetzt wird. (Bild: Swiss)

Eine energetische Knacknuss

Die Herstellung von SAF nimmt weitaus mehr Energie in Anspruch als die Produktion von herkömmlichem Kerosin – und soll vier- bis siebenmal so teuer sein. Vor dem Hintergrund der Klimaziele macht deren Herstellung nur Sinn, wenn der «Prozessstrom» wenig Emissionen verursacht. Das betrifft das Einfangen von CO2 aus der Luft, das Abscheiden von CO2 aus Industrieprozessen, den Betrieb von Elektrolyseuren für die Herstellung von Wasserstoff und die Synthetisierung der SAF. In der Schweiz macht eine SAF-Produktion aufgrund der volatilen grünen Energieproduktion im Moment kaum Sinn. «Für den heutigen Kilowattstundenverbrauch des Flugverkehrs ab Schweiz müssten mindestens 70 Prozent der heutigen grünen Stromproduktion aufgewendet werden», sagt Theo Rindlisbacher.

Da auch andere Branchen an synthetischen Kraftstoffen interessiert sind, ist eine ganzheitliche Betrachtung nötig. Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme bei der Empa, erklärt: «Um den Strassen- und Luftverkehr sowie industrielle Hochtemperaturprozesse vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen, werden 30 bis 60 Terawattstunden an erneuerbaren synthetischen Energieträgern benötigt.» Das entspricht rund einem Drittel des heutigen fossilen Bedarfs der Schweiz (2022 wurden 124 TWh an fossilem Oel und Gas importiert). «Wenn die Schweiz das Minimalszenario mit 30 Terawattstunden erreichen will, muss sie 2025 die erste Power-to-X-Anlage mit einer Leistung von 300 Megawatt bauen und alle fünf Jahre die Kapazitäten verdoppeln. Ansonsten ist es unmöglich, in 27 Jahren Nettonull zu erreichen. Doch auf dem freien Markt werden solche Grossanlagen nicht kommen, mahnt Christian Bach.

Vor dem Hintergrund des freien Marktes müsse auch anderen Verschiebungen standgehalten werden, um die Umwelt zu schonen. Thomas Häusler, Projektleiter Klima und Energie bei WWF Schweiz, ergänzt: «Synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff dürfen nur in jenen Sektoren eingesetzt werden, die nicht elektrifiziert werden können, wie die Mehrheit des Flug- und Schiffsverkehrs und manche industrielle Prozesse.»

Nettonull mit weniger Verkehr erreichbar

Experten sind sich einig, dass SAF aus dem Sonnengürtel importiert werden sollen, wo Photovoltaik- und Windenergie «last-flexibel» produziert werden können. Doch auch dort ist der damit verbundene Ressourcenbedarf an Land und Wasser mit Risiken verbunden: «Der Wasserbedarf für die Erzeugung von Wasserstoff mittels Elektrolyse ist erheblich, was in trockenen Regionen zu Problemen führen könnte», sagt Thomas Häusler.

Würde die Herstellung von SAF ausschliesslich mit erneuerbarer Energie erfolgen, bedeutet dies schliesslich aber keineswegs, dass der Flugverkehr als Ganzes betrachtet klimaneutral wäre. Die gesamte Kette der Fussabdrücke der ganzen Luftfahrt-Infrastruktur muss ebenso berücksichtigt werden. «Neue Antriebe, klimaschonende Treibstoffe und das Herausfiltern von CO2 aus der Atmosphäre, um es unterirdisch zu speichern, werden uns allein nicht ans Ziel bringen», sagt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH. «Wir müssen zusätzlich den Flugverkehr reduzieren.» So lautet das Fazit der von Mazzotti und anderen Forschenden der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts, die berechnet haben, wie der Flugverkehr bis 2050 klimaneutral werden könnte. Ihre Ergebnisse wurden im Fachmagazin Nature Communications publiziert.

Luca Meister

Quelle: Energy Briefing 2023 zum Thema Synfuels, Paul Scherrer Institut PSI

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