Zweidimensionale Materialien wie Graphen sind ultradünn und äusserst empfindlich. Feldeffekttransistoren auf Graphen-Basis könnten beispielsweise winzigste Veränderungen der elektronischen Eigenschaften registrieren, welche die Moleküle verursachen, wenn sie mit dieser atomar dünnen Schicht interagieren. Doch die Hypersensivität des Materials steht der Umsetzung dieser Idee bisher im Weg. Jetzt haben Forschende an der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine Lösung entwickelt, um diese Hürde zu überwinden.
Genau wie andere Biosensoren benötigt ein graphen-basierter Biosensor eine funktionalisierte Oberfläche, auf der sich nur spezifische Moleküle anlagern. Will man also beispielsweise aus einer Blut- oder Speichelprobe einen ganz bestimmten Biomarker detektieren, so muss auf der Sensoroberfläche ein entsprechendes Gegenstück – ein sogenanntes Fängermolekül – aufgebracht sein. Das Problem: «Funktionalisiert man Graphen auf direkte Weise, dann verändert sich seine elektronische Struktur ungünstig», erklärt Prof. Dr. Andrey Turchanin von der Universität Jena. «Graphen ist dann nicht mehr Graphen – die spezifischen elektronischen Eigenschaften, die man sich eigentlich zunutze machen will, stehen dann nicht mehr zur Verfügung.» Parameter, welche die hohe Sensitivität eines solchen Biosensors ausmachen – zum Beispiel die Mobilität der Ladungsträger – seien zu stark beeinflusst.
Funktionalisierung dank molekularer Zwischenschicht
Doch Turchanin und seine Gruppe haben nun gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Medizin eine Methode entwickelt, wie sich das Graphen störungsfrei funktionalisieren lässt. «Wir haben auf das Graphen eine molekulare Kohlenstoffmembran aufgebracht, die mit einem Nanometer genauso dünn ist wie Graphen. Diese Zwischenschicht ist dielektrisch – das heisst, sie leitet keinen elektrischen Strom», erklärt der Chemiker. «Beide Komponenten sind durch sogenannte Van-der-Waals-Kräfte miteinander verbunden und bilden eine Heterostruktur, die wir funktionalisieren konnten, ohne die elektronischen Eigenschaften des Graphens zu beeinflussen.» Denn auf die molekulare Zwischenschicht lassen sich störungsfrei chemisch aktive funktionale Gruppen aufbringen, an die sich beliebig viele und unterschiedliche Fängermoleküle anbinden lassen. Lagern sich die gesuchten Gegenstücke an, dann leiten sie das elektrische Feld an das Graphen weiter, was die elektrischen Signale in diesem Material ändert, ohne seine Eigenschaften zu beeinträchtigen.
Untersuchung komplexer klinischer Proben
Als Fängermoleküle statteten die Forschenden die chemisch aktive funktionale Gruppe auf der molekularen Zwischenschicht mit künstlich produzierten Aptameren aus, die sehr gezielt spezifische Moleküle binden können. Ausserdem funktionalisierten sie die Kohlenstoffnanomembran mit einer proteinabweisenden Schicht aus Polyethylenglykol, einem synthetischen Polymer, das in der Medizin häufig angewendet wird. Sie verhindert, dass etwas auf der Oberfläche adsorbiert, was nicht gesucht wird. Auf diese Weise lassen sich in einer komplexen biologischen Probe die gesuchten Biomarker finden.
Mit dieser Versuchsanordnung gelang es den Deutschen Expertinnen und Experten, Chemokine zu detektieren – also eine bestimmte Proteingruppe, die im menschlichen Immunsystem eine wichtige Rolle spielt und deshalb als Biomarker bei der Diagnose von Krankheiten eine grosse Rolle spielen kann. «Dank der Kooperation mit einem medizinischen Labor in den Niederlanden verwendeten wir für diese Versuche Proben aus Nasenabstrichen von echten Patienten», sagt Andrey Turchanin. «Ausserdem lassen sich mit dem entwickelten Graphen-Sensoren nicht nur ein Biomarker finden, sondern hunderte», ergänzt Dr. David Kaiser, Erstautor der Veröffentlichung.
Sensitiver, schneller, kostengünstiger
«Das vorliegende Forschungsergebnis kann wegweisend für die Diagnostik der Zukunft sein, denn wir konnten eine grosse Hürde auf dem Weg zum graphen-basierten Biosensor beseitigen, der in seiner Effektivität alles deutlich übertrifft, was heute im normalen klinischen Bereich Anwendung findet», sagt der Chemiker Kaiser. «Er ist wesentlich sensitiver, deutlich schneller – in etwa fünf Minuten liegen die Ergebnisse vor – und kostengünstig, wenn man ihn in grosser Stückzahl produziert.» Das Messprinzip ist rein elektrisch – allein Veränderungen im elektrischen Strom zeigen an, ob die gesuchten Biomarker gefunden wurden. Dementsprechend lässt sich ein solcher Biosensor problemlos in Verbindung mit einem handlichen Point-of-Care-Gerät in den klinischen Alltag integrieren. «Vermutlich geht das sogar mit unseren Smartphones», schliesst Turchanin. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Advanced Materials veröffentlicht.
Sebastian Hollstein, Universität Jena