Offizielles Organ des Schweizerischen
Chemie- und Pharmaberufe Verbandes

Was metallorganische GerĂ¼ste (MOFs) so besonders macht

Bild 1: Die Chemikerin oder der Chemiker kann die Eigenschaften von MOFs bis ins kleinste Detail modifizieren. (Bild: Paolo Falcaro und Dario Buso, CSIRO, CC BY 3.0)

Seit der Jahrtausendwende wächst die Zahl der veröffentlichten Publikationen zu metallorganischen GerĂ¼stverbindungen («metal-organic frameworks», MOFs) unaufhörlich. Das wissenschaftliche Interesse scheint nicht abzuflachen. Auch die Industrie liebäugelt mit dieser vielversprechenden chemischen Verbindung. Obschon die grosse Massenproduktion noch ausgeblieben ist, geben sich viele sicher: Ihre grosse Stunde wird schon noch schlagen.

In der stofflichen Welt gilt eine verblĂ¼ffend einfache Faustregel: Die Struktur eines MolekĂ¼ls verrät uns sofort, wozu die Verbindung in der Lage ist. Bei den metallorganischen GerĂ¼stverbindungen («metal-organic frameworks», MOFs) verhält es sich nicht anders. Etwa 2 Gramm dieses Materials verfĂ¼gen Ă¼ber eine Gesamtoberfläche, die mindestens so gross ist wie ein Fussballfeld. Das Potenzial dieser hochporösen MolekĂ¼le lässt sich nur schon durch diesen Vergleich erahnen.

Bekannt fĂ¼r seine Gastfreundschaft

Als Entdecker der MOFs gilt der Chemiker Omar M. Yaghi. 1995 veröffentlichte er zusammen mit seinem Team den ersten stabilen MOF in der Fachzeitschrift «Nature»: An das Metallzentrum Co(II) koordiniert mehrfach die organische Verbindung Trimesinsäure (BTC) in ihrer deprotonierten Form. So gesehen, handelt es sich um eine gewöhnliche Komplexverbindung mit BTC als Liganden. Was macht nun aus diesem Komplex ein MOF?

Bild 2: Omar M. Yaghi lehrt und forscht an der University of California in Berkeley. (Bild: Boasap, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Ein einzelner Ligand verbindet sich gleich mit mehreren Metallzentren und diese wiederum gehen mit neuen Liganden weitere Verbindungen ein: Ein zweidimensionales Metall-Ligand-Netzwerk entsteht. Dieser zusammengewobene Teppich aus Komplexverbindungen wird vertikal erweitert: Ein zusätzliches MolekĂ¼l, in diesem Fall Pyridin, verknĂ¼pft nun diese metallorganischen Schichten miteinander, indem es sich mit den Metallen verbindet. Wie bei einem Hochhaus werden so Stockwerk fĂ¼r Stockwerk aufeinandergestapelt. Zwischen jeder Etage dieser Metall-Ligand-Netzwerke bilden sich grosse Hohlräume. Dank diesen weisen MOFs eine so hohe spezifische Oberfläche auf und können «GastmolekĂ¼le» empfangen, speichern und wieder freigeben, ohne dass die wabenartige Struktur der MOFs verloren geht.

Und genau das haben Yaghi und sein Team in diesem Paper gezeigt. Sie konnten das metallorganische GerĂ¼st mit MolekĂ¼len beladen und entladen, ohne dass die Struktur der MOFs in sich zusammengebrochen wäre.

Molekulare Legosteine

Solche Eigenschaften sind allerdings nichts neues in der Chemie. Gerade die Stoffklasse der Zeolithe zeichnet sich durch ihre hohe spezifische Oberfläche aus. Doch MOFs sind aus chemischer Sicht trickreicher. Da das GerĂ¼st aus organischen Liganden besteht, lässt sich das Gebilde nämlich «dehnen» oder «verdichten». Auch die Bestandteile des Materials lassen sich variieren. Ein anderes Metallzentrum oder andere organische Liganden mit neuen funktionellen Gruppen lassen sich integrieren. Die Chemikerin oder der Chemiker kann also die Eigenschaften der MOFs bis ins kleinste Detail modifizieren.

Industrie zeigt waches Interesse

1999 stellten Yaghi und sein Team einen neuen Rekord auf. Sie synthetisierten einen MOF, der so löchrig ist wie kein Stoff vor ihm. Sie nannten das neue Material MOF-5 (Zn4O(BDC)3) und es sollte das bekannteste und am besten untersuchte MOF werden.

Bild 3: Die Struktur von MOF-5 mit acht «Poren» (braune und gelbe Kugeln), die Platz fĂ¼r GastmolekĂ¼le in der Grössenordnung von etwa 10 Ă… (10–9 m) liefern. An das Zn(II)-Metallzentrum (im Zentrum der blauen Pyramide) binden Terephthalatliganden (BDC) mit ihren Sauerstoffatomen (rot). Die Liganden erweitern als sogenannte Linker das metallorganische GerĂ¼st. (Bild: Tony Boehle, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

MOF-5 (Bild 3) weist eine massenbezogene spezifische Oberfläche von ungefähr 3000 m2/g auf. Es dauerte nicht lange und die Fachwelt wurde hellhörig. Ein Material, das Ă¼ber eine höhere Adsorptionsfähigkeit pro Masse verfĂ¼gt als Zeolith und sich zusätzlich wie ein Baukasten ganz präzise zusammenstellen lässt, imponiert. Die technischen Potenziale, die in diesen Materialien schlummern, sind offensichtlich. So kam es, dass auch die Industrie ein reges Interesse an diesen Verbindungen zeigte: allen voran die BASF.

Der deutsche Konzern soll rund 2,5 Prozent aller MOF-Patente erworben haben. Kein anderes Unternehmen oder Organisation besitzt so viele MOF-Patente wie die BASF. Unter dem Markennamen «Basolite» produziert und verkauft der Konzern kleine Mengen unterschiedlicher MOFs.

Hoffnungsträger oder Zeitverschwender?

Doch wem dienen nun die MOFs – ausser forschungseifrigen Chemikern? WofĂ¼r kann man sie konkret anwenden? Mögliche Einsatzbereiche gibt es viele (siehe Tabelle 1). Angestellte der BASF arbeiten zum Beispiel seit Jahren an MOFs, die in der Lage sein sollen, Unmengen an Erdgas in kleinstem Raum zu speichern. Diese MOFs können dann in Tanks von Erdgas-Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Prototypen gibt es bereits.

ThemengebietKonkrete Anwendungsbereiche
Energie und MobilitätGasspeicherung, Latentwärmespeicher
StofftrennungChromatographie, Gasreinigung, Trennverfahren (z. B. CO2)
KatalysePhotokatalyse, enantiosekeltive Katalyse, heterogene Molekularkatalysatoren
SensorikRaumluftqualität, optische Sensorik, Schwellenwertsensorik
Tabelle 1: Eine grobe Ăœbersicht der Themengebiete, in welchen MOFs nĂ¼tzlich sein können. (Quelle: Positionspapier «Metallorganische GerĂ¼stverbindungen (MOFs)», Dechema und VDI)

Auch fĂ¼r andere Gase können MOFs als Zwischenspeicher dienen, da sie schliesslich die Speicherkapazität erhöhen (hohe Energiedichte) und dadurch die Energieeffizienz steigern und Kosten senken. Es ist also gut nachvollziehbar, dass die BASF Methangas fĂ¼r den Einsatz im Automobilbereich mittels MOFs speichern möchte.

Wegen der grosszĂ¼gigen Aufnahmefähigkeit der MOFs von GastmolekĂ¼len sind sie prädestiniert fĂ¼r allerlei Trennverfahren in der Industrie. In einem neueren Projekt sammeln Forschende gar Wasser aus der Luft in WĂ¼stengebieten, um dieses kostbare Gut schliesslich als Trinkwasser aufzubereiten.

Man könnte auch die Emission von Treibhausgasen direkt reduzieren, indem MOFs das CO2-Gas aufnehmen. Oder indirekt, indem sie Energie reduzieren, wenn sie weniger effiziente Trennverfahren in der Industrie ersetzen.

MOFs sind also Stoffe, die dabei helfen könnten, «den Planeten zu retten», wie einige junge Wissenschaftler in der Fachzeitschrift «Angewandte Chemie» tatsächlich zu formulieren wagten.

Fragt man allerdings den Entdecker der MOFs Professor Yaghi, was er von den «weltrettenden» Möglichkeiten dieser chemischen Verbindung hält, so räumt er ein, dass ihm eigentlich immer nur die Schönheit der MolekĂ¼le und nicht etwa ihr Potenzial interessiert habe. Was natĂ¼rlich nicht heisst, dass er die Möglichkeiten dieser molekularen Legosteine nicht schätzen wĂ¼rde.

Wo bleibt der «Durchbruch»?

MOFs werden bis heute noch nicht massenhaft produziert. In bestimmten Nischenbereichen haben sich diese speziellen Verbindungen bereits festgesetzt. Nach Einschätzungen von Prof. JĂ¼rgen Caro, der sich schon seit Jahren mit MOFs beschäftigt, werde die Kommerzialisierung der MOFs in kleinen Schritten voranschreiten, wie er in einem Review schreibt. Zuerst werden die MolekĂ¼le Bereiche wie Gasspeicherung oder Anwendungen in der Sensorik erobern. Je erfolgreicher sich diese MOFs dann zeigen, desto eher werden sie im grösseren Massstab in der Trenntechnik oder Katalyse eingesetzt.

Roger Bieri

Das könnte Sie auch interessieren:

Newsletter abonnieren