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Warum der Schaum so lange hält

Eine prächtige Schaumkrone ist für den Biergenuss wichtig. (Bild: Shutterstock)

Braukunst misst sich auch im Rezept für stabilen Bierschaum. Die neuste Erkenntnis aus der Forschung: Sowohl Lagerbiere als auch belgische Ales können sehr stabilen Schaum haben. Die zugrunde liegende Physik kann jedoch beim Vergleich der mikroskopisch kleinen Bierfilme, welche die Blasen im Schaum voneinander trennen, sehr unterschiedlich sein.

Nichts geht der Bierliebhaber und der Bierliebhaberin über eine Schaumkrone, die auf dem goldenen, perlenden Gerstensaft sitzt. Doch bei vielen Bieren platzt dieser Traum schnell, und der Schaum fällt in sich zusammen, bevor man den ersten Schluck nehmen kann. Allerdings gibt es auch Biersorten, bei denen die Schaumkrone lange hält.

Weshalb das so ist, haben Forschende um Jan Vermant, Professor für Weiche Materialien an der ETH Zürich, jetzt herausgefunden. Ihre Studie wurde soeben in der Fachzeitschrift Physics of Fluids veröffentlicht. Sieben Jahre haben der Belgier und seine Mitarbeitenden daran gearbeitet.

Alles begann mit einer einfachen Frage an einen belgischen Brauer: «Wie kontrollierst du den Brauprozess?» – «Indem ich den Schaum beobachte», lautete die Antwort. Heute kennen die Wissenschaftler die Mechanismen hinter dem perfekten Bierschaum. Und vielleicht können Biertrinkerinnen künftig die Schaumkrone im Glas etwas länger bewundern, ehe sie ihren Durst löschen.

Tripel schlägt Dubbel und Singel

In der Studie zeigen die Materialwissenschaftler, dass «Tripel»-Biere unter den untersuchten belgischen Bieren den stabilsten Schaum haben, gefolgt von «Dubbel»-Bieren. Am wenigsten stabil ist der Schaum bei «Singel»-Bieren, die weniger intensiv vergoren werden und den geringsten Alkoholgehalt aufweisen.

Auch zwei Lagerbiere von grossen Schweizer Brauereien haben die Forschenden untersucht. Die Schaumstabilität dieser Biere sei vergleichbar mit jener von Belgischen Ales, obwohl die Physik hinter der Schaumstabilität verschieden sei. Interessanterweise habe eines der getesteten Schweizer Lagerbiere bezüglich der Schaumstabilität nicht so gut abgeschnitten. «Das könnten wir dank unserer neuen Erkenntnisse durchaus verbessern», sagt Jan Vermant.

Oberflächenspannungen statt Zähflüssigkeit 

Bisher nahmen die Forschenden an, dass die Stabilität des Bierschaums vor allem von proteinreichen Schichten an der Oberfläche der Bläschen abhängt: Die Proteine stammen aus dem Gerstenmalz und beeinflussen die Oberflächenviskosität, also deren Fliessfähigkeit, sowie die Oberflächenspannung. 

Doch die neuen Experimente zeigen, dass der entscheidende Mechanismus komplexer ist und stark von der Biersorte abhängt. Bei Lagerbieren ist ausschlaggebend, wie elastisch und gleichzeitig zähflüssig die Oberfläche der Bläschen ist (Viskoelastizität). Sie wird beeinflusst durch die im Bier vorhandenen Proteine sowie durch deren Denaturierung: Je mehr Proteine im Bier vorhanden sind, desto starrer wird der Film um die Bläschen und desto stabiler wird der Schaum. 

Das Bild zeigt einen sehr dünnen Bierfilm zwischen zwei Blasen. Die verschiedenen Farben entsprechen unterschiedlichen Filmdicken, ähnlich wie bei einer topografischen Karte mit Höhenlinien. (Grafik: Manolis Chatzigiannakis, ETH Zürich)

Anders bei den Tripel-Bieren: Hier ist die Viskoelastizität der Oberfläche minimal. Die Stabilität entsteht durch sogenannte Marangoni-Spannungen. Das sind Kräfte, die durch Unterschiede in der Oberflächenspannung entstehen. 

Beobachten lässt sich dieser Effekt, indem man zerstossene Teeblättchen auf eine Wasseroberfläche gibt. Die Bruchstücke verteilen sich zunächst gleichmässig. Gibt man einen Tropfen Seife dazu, werden die Teeblättchen schlagartig an den Rand gezogen. Dabei treten Strömungen auf, die auf der Oberfläche zirkulieren. Halten solche Strömungen lange an, stabilisieren sie die Bläschen im Bierschaum. 

Proteinreiche Hüllen umgeben Bläschen

Verschiedene Biere, unterschiedliche Braubedingungen und darum unterschiedliche Schaumphysik: Die Lösung liegt in der Struktur und der Dynamik von proteinreichen Hüllen, welche die Bläschen umgeben. Im belgischen Singel-Bier verhalten sich diese proteinreichen Hüllen so, als würden sich kleine, kugelförmige Partikel dicht an der Oberfläche der Blasen anordnen. Dies entspricht einer zweidimensionalen Suspension, das heisst einer Mischung aus einer Flüssigkeit und fein verteilten Feststoffen, die wiederum die Blasen stabilisiert.

Im Bier vom Typ Dubbel bilden Proteine eine netzartige Struktur, die wie eine Membran die Bläschen noch stabiler macht. Bei Tripel-Bieren wird die Physik noch komplexer: Die Dynamik der Bläschenoberflächen ähnelt der von Tensiden – Molekülen, die Schaum in vielen alltäglichen Anwendungen stabilisieren. 

Der genaue Grund für das unterschiedliche Verhalten ist noch unbekannt. Es scheint aber so, dass das Protein LPT1 (Lipid Transfer Protein 1) eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des Bierschaumes spielt. Das konnten die Forschenden durch Analysen der molekularen Struktur und der Menge des Proteins in den untersuchten Bieren bestätigen.

Zusammenarbeit mit Grossbrauerei 

Jan Vermant betont: «Die Stabilität des Schaums hängt nicht linear von einzelnen Faktoren ab. Man kann nicht einfach ‹etwas› ändern und es ‹richtig› einstellen.» Wird die Viskosität durch zusätzliche Tenside erhöht, könne das den Schaum sogar instabiler machen, weil man damit die Marangoni-Effekte zu stark verlangsame. «Entscheidend ist, gezielt an einem Mechanismus zu arbeiten – nicht an mehreren gleichzeitig. Bier macht das offensichtlich von Natur aus gut!», sagt Vermant. 

In dieser Studie arbeitete der ETH-Professor mit einer der weltgrössten Brauereien zusammen. Diese tüftelt an der Schaumstabilität ihrer Biere. Sie wollen verstehen, was den Bierschaum wirklich stabilisiert. «Wir kennen den physikalischen Mechanismus jetzt genau und können der Brauerei helfen, den Schaum ihrer Biere zu verbessern», sagt Vermant.

Für belgische Bierkonsumenten sei der Schaum wichtig, wegen des Geschmacks und als «Teil der Experience», wie der Materialforscher sagt. «Aber nicht überall, wo Bier getrunken wird, ist der Schaum so wichtig. Das ist etwas Kulturelles.» 

Anwendungen in Technik und Umwelt möglich 

Die Erkenntnisse aus der Bierschaumforschung haben auch ausserhalb der Braukunst Bedeutung. In Elektrofahrzeugen etwa können Schmiermittel schäumen – ein gefährliches Problem. Unter anderem mit der Firma Shell untersucht Vermants Team nun, wie sich solche Schäume gezielt zerstören lassen.

Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung nachhaltiger Tenside, die auf Fluor oder Silizium verzichten. «Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung», so Vermant.

In einem EU-Projekt arbeiten die Forschenden zudem an Schäumen als Träger für bakterielle Systeme. Und in Zusammenarbeit mit Lebensmittelforscher Peter Fischer von der ETH Zürich geht es um die Stabilisierung von Milchschaum durch Proteine. «Es gibt also viele Bereiche, wo uns das mit Bier erworbene Wissen nützt», sagt Vermant. 

Peter Rüegg, ETH Zürich

https://ethz.ch

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