Offizielles Organ des Schweizerischen
Chemie- und Pharmaberufe Verbandes
Suche
Close this search box.

Von Cannabis bis Weltraumpharmazie

Wie man mit Cannabis umgehen soll, wird von Land zu Land unterschiedlich bewertet – in Deutschland Teillegalisierung, in der Schweiz Forschung. Eines ist jedoch Konsens: Der Anbau von medizinischem Cannabis erfordert Reinräume, und die spielen darüber hinaus eine zunehmend grössere Rolle für viele weitere Anwendungen in Produktion und Forschung – bis zur Weltraummedizin und -pharmazie.
Neben dem berauschenden Wirkstoff THC stellt CBD den zweiten wichtigen medizinisch nutzbaren Wirkstoff der Hanfpflanze Cannabis sativa dar. (Bild: Adpic)

Wie man mit Cannabis umgehen soll, wird von Land zu Land unterschiedlich bewertet – in Deutschland Teillegalisierung, in der Schweiz Forschung. Eines ist jedoch Konsens: Der Anbau von medizinischem Cannabis erfordert Reinräume, und die spielen darüber hinaus eine zunehmend grössere Rolle für viele weitere Anwendungen in Produktion und Forschung – bis zur Weltraummedizin und -pharmazie.

Im Kanton Zürich startete im Mai eine auf fünf Jahre angelegte Studie mit 7500 Personen unter Beteiligung der Universität Zürich und der ETH mit dem Ziel, mehr über die Auswirkungen von legalem Cannabis auf verschiedene sozioökonomische Zielgrössen herauszufinden (Gesundheit, Bildung, wirtschaftliche Situation). Dabei können sich Cannabis-Konsumenten in Fachgeschäften und Apotheken in Zürich, Winterthur, Schlieren und Horgen ihren «Stoff» besorgen [1]. Ausserhalb der Studie bleiben der Anbau und Verkauf von Cannabis jedoch verboten. In Deutschland dagegen ist die Teillegalisierung von Cannabis zum 1. April 2024 in Kraft getreten.

Die Bewegung in der Bewertung und in der Rechtslage zu diesem Stoff im Allgemeinen gibt im Speziellen Anlass zu einem Blick auf den medizinischen Cannabis. Seit seiner Zulassung vor sieben Jahren stellt er in Deutschland für Patienten eine Therapieoption dar. Vor zwei Jahren wurde auch in der Schweiz das Verbot der Cannabis-Verwendung aufgehoben.

Cannabis hat bereits eine beeindruckende Karriere durchlaufen. Sie beginnt bei den Ägyptern, Griechen und Römern und setzt sich im 12. Jahrhundert in den Schriften der Hildegard von Bingen fort (u. a. gegen Schmerzen, Übelkeit und Rheuma). Erfolge feiert Cannabis vor allem im 19. Jahrhundert, als es zum meistverkauften Mittel in den Apotheken Amerikas und Europas avanciert [2]. Man verfügte aber noch über kein fundiertes Wissen über Inhaltsstoffe, Wirkmechanismen und die idealen Anbauverfahren.

Ein Fall für den Reinraum

Für den zertifizierten Anbau braucht man allerdings Reinräume. Warum dies so ist, liegt auf der Hand.

Selbstverständlich gelten für Cannabis die üblichen Anforderungen an jedes Medikament: Ein kontrollierter und penibel dokumentierter Wirkstoffgehalt muss eine genaue Dosierung ermöglichen. Dazu sind verschiedene Regularien zu beachten, insbesondere die Monografie zu Cannabisblüten im Deutschen Arzneibuch (DAB), die Gute Herstellungspraxis (GMP) und die Gute Praxis für die Sammlung und den Anbau von Arzneipflanzen (GACP).

Diese Vorschriften verfolgen unter anderem das Ziel, Schädlinge oder Schimmelsporen während des gesamten Wachstums von der Zellkultur bis zur Blüte ebenso zu vermeiden wie eine Schwermetallbelastung. Nach GMP muss dies über spezielle Nachweise dokumentiert werden. Zu ihnen zählen Tests auf verschiedene Schwermetalle, die Bestimmung der Gesamtkeimzahl aerober Mikroorganismen, zusätzlich qualitative und zum Teil quantitative Nachweise bestimmter Mikroorganismen sowie die Bestimmung der Gesamtkeimzahl an Hefen und Schimmelpilzen. Die Kontrollmassnahmen betreffen über den Anbau hinaus auch die weitere Verarbeitung (z. B. Trocknungsprozesse).

Medizinisches Cannabis bedarf einer scharf definierten Qualität, was im Endeffekt auf den Anbau und die Verarbeitung in Reinräumen führt. (Bild: Adpic)

Aus diesen strengen Prüfungen ergeben sich wiederum spezielle Anforderungen an die Klimatechnik. Für einen gleichbleibenden Wirkstoffgehalt müssen insbesondere Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Licht, Frischluftzufuhr und Luftströmung gesteuert werden. Für den Cannabis-Anbauer kommt dadurch als weiterer Vorteil eine Ertragsmaximierung hinzu. Das Wasser zum Giessen der Pflanzen wird speziell aufgereinigt und filtriert.

Normkonforme Komponenten sichern Qualität

Damit sind nun bereits viele Elemente der Reinraumtechnik benannt. So verwundert es nicht, wenn sich die Erfüllung sämtlicher Regularien am besten durch Reinraumbedingungen vom Anbau der Pflanzen bis zur Verpackung sichern lässt. Darum bietet es sich an, die «Cannabis-Felder» in Reinräumen zu bewirtschaften, spezielle Klimaschränke zu nutzen und diese mit einer zertifizierten Software über eine Plattform zu steuern, inklusive Datenaufzeichnung und Archivierung. Um ein Gefühl für die Grössenordnung zu bekommen: Vor zwei Jahren hat ein Cannabisproduzent in der Schweiz eine Produktionsanlage mit einer Fläche von 1100 Quadratmetern für den Anbau und die Verarbeitung der Pflanzen in einer kontrollierten Reinraumumgebung in Betrieb genommen [3]. Das entspricht einem Siebtel eines Fussballfeldes.

Für die Produktion von A bis Z existieren strenge Regularien. Alles erfolgt nach GMP und/oder nach der Reinraum-Norm DIN EN ISO-14644 (in der Regel GMP D/ISO 9) und unter Berücksichtigung der entsprechenden Richtlinien mit der Bezeichnung «VDI 2083» des Vereins Deutscher Ingenieure. Vorteile bieten beim Aufbau eines Reinraums daher Komponenten, die ihrerseits bereits nach den Normen und anderen einschlägigen Massgaben zertifiziert sind (z. B. ganze Klimakammern, Software, Mikrowellen-Extraktoren).

Visuelle Prüfung im Gewächshaus und chemische Analyse im Labor sichern die Qualität des medizinischen Cannabis. (Bild: Adpic)

Der Lohn für den Aufwand liegt in standardisierten Tetrahydrocannabinol-Zubereitungen (THC) zur Verwendung als Arzneimittel. Daneben lassen sich ebenso Cannabidiol-Präparate gewinnen (CBD). Dieser Wirkstoff weist unter anderem schlaffördernde, angstlösende und entzündungshemmende Wirkungen auf, aber keine berauschende Wirkung. So findet man ihn auch in Nahrungsergänzungsmitteln und kosmetischen Ölen.

Innovative Verfahren unter Verwendung von Mikrowellensystemen vermögen heute, duftende Terpene unter Bewahrung des Aromas aus Cannabis zu extrahieren. Das gelingt sogar in wenigen Minuten und ohne Einsatz von Lösungsmitteln.

Forschungsfeld Weltraumpharmazie

Pharma-Wirkstoffe, Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika lassen sich oft schneller unter Bedingungen der Schwerelosigkeit entwickeln, im Weltraum – ein weiteres Feld für den Einsatz von Reinraumtechnologie.

In der Schwerelosigkeit wird die Virulenz von Bakterien erhöht, biologische Prozesse generell beschleunigt. So lassen sich Experimente im Zeitraffer-Verfahren durchführen und Impfstoffe schneller entwickeln.

Weltraummedizin hilft ebenso bei Osteoporose-Medikamenten. Denn Astronauten erfahren während ihrer Missionen im Weltraum einen beschleunigten Knochenabbau. Auch dies ermöglicht Innovationen im Zeitraffer.

Selbst die Landwirtschaft kann von Experimenten in der Schwerelosigkeit profitieren. Sie können dazu beitragen, grundlegende Wachstumsprozesse besser zu verstehen. Dies kann zur Entwicklung verbesserter Pflanzenstämme mit höherem Ertrag, zu einer besseren Resistenz gegenüber Schädlingen und Erkrankungen oder zu einer Vielzahl anderer wünschenswerter Eigenschaften führen (womöglich auch bei Cannabis!).

Die nächste Mikrochip-Generation wird unter Reinraumbedingungen nach dem «Extreme-Ultraviolet-Lithography»-Konzept gefertigt, um nanometergrosse Strukturen schaffen zu können. (Bild: Adpic)

Ob Cannabis-Anbau, generell Arzneimittelfertigung oder Laboratorien im Weltraum – bei den verschiedenen Anwendungen bieten Reinräume Schutz vor zwei Gefahren: vor der Verunreinigung durch Partikel und vor mikrobiologischer Kontamination. Die Qualität vieler Produkte und Forschungsansätze lässt sich nur auf diese Weise sicherstellen.

Für Satelliten und für die Chipfertigung

Reinraumtechnologie ist bei den Experimenten im Weltraum unbedingt gefragt. Zu seinen Spezialanforderungen gehört Folgendes: Für die Raumstation als geschlossenes System dürfen die verwendeten Materialien weder ausgasen noch unerträgliche Gerüche entwickeln. So findet man beispielsweise auf der ISS (International Space Station) mehr Oberflächen aus Metall als aus Kunststoff.

Schon beim Bau von Weltraum-Satelliten spielt Reinraumtechnologie eine Rolle, ja, eine Hauptrolle. Eine der Spitzenleistungen besteht in Riesen-Reinräumen. Denn ein Satellit kann mehrere Meter hochragen. Des Weiteren findet auch die Fertigung der Mikrochips für Bordcomputer und Laborgeräte unter Reinraumbedingungen statt. Neue Horizonte eröffnet dabei die sogenannte 7-Nanometer-Technologie, eine Form der Lithographie mit Wellenlängen im ultravioletten Bereich. Da produziert man in «Mini-Environments» von zum Beispiel 2 mal 2 mal 2 Metern und unter strengsten Bedingungen (Reinraumklasse 1).

Dr. Christian Ehrensberger

Quellen:
1. SRF-Beitrag «Im Kanton Zürich startet grösste Schweizer Cannabis-Studie», Zugriff am 21.7.2024
2. Barbara Segger: Harmloses Hanfprodukt? PTA heute 23 (2023): 88-90
3. Website Swisscann Tec AG, Zugriff am 28.4.2024

Das könnte Sie auch interessieren:

Newsletter abonnieren