Nicht zu viel und nicht zu wenig: Die Dosierung der Wirkstoffe bei einer Vollnarkose muss optimal eingestellt sein. Besonders bei Kindern ist das keine einfache Sache. Eine Pilotstudie zeigt nun, dass die Analyse der Atemluft helfen kann, ein gängiges Narkosemittel präzise zu dosieren. Und nicht nur das: Aus der Analyse der Atemluft lässt sich auch bestimmen, wie der Körper auf die Anästhesie reagiert.
Die Luft, die wir ausatmen, enthält eine Vielzahl an Molekülen, die aus unserem Körper stammen. Mit Messgeräten, die dafür an der Universität Basel entwickelt wurden, lassen sich Stoffwechselprodukte sowie Medikamente und ihre Abbauprodukte im Atem aufspüren. Dies machen sich Forschende um Prof. Dr. Pablo Sinues vom Departement Biomedical Engineering und dem Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) zunutze: In der Fachzeitschrift Anesthesiology berichten sie, dass sich mit dieser Methode eine Anästhesie bei Kindern besser überwachen liesse, als es bisher möglich war.
Das Anästhetikum Propofol ist seit über 30 Jahren im Einsatz und gilt als sicheres Medikament, um eine Vollnarkose einzuleiten und aufrecht zu erhalten. Die optimale Dosierung ist gerade bei Kindern eine Herausforderung: Als Parameter kommen Körpergrösse, Gewicht, Geschlecht und Alter zur Anwendung. Die Exposition des Gehirns, wo sich der Effekt entfaltet, können Fachleute nur anhand indirekter Rückschlüsse bestimmen. Vitalzeichen und Bewegungen oder auch Messungen der Hirnaktivität dienen als Anhaltspunkte für nötige Anpassungen der Propofol-Menge, damit das Kind weder aufwacht noch einer zu hohen Konzentration ausgesetzt ist.
Aufwändige Bluttests
Die Messung der Propofol-Konzentration im Blut wäre ein guter Anhaltspunkt, um abzuschätzen, wie viel des Wirkstoffs das Gehirn erreicht. Allerdings gibt es bisher keinen Bluttest, der schnell genug Ergebnisse liefert.
Deshalb hat Sinues’ Team in Zusammenarbeit mit der Abteilung für pädiatrische Anästhesie am UKBB untersucht, ob eine Atemanalyse bei der Dosierung unterstützen und während der Vollnarkose quasi in Echtzeit Ergebnisse liefern könnte. «Propofol ist recht flüchtig und lässt sich gut im Atem messen», so Sinues.
Ihre Pilotstudie umfasste 10 Kinder, die sich aus verschiedenen Gründen einer Operation unter Vollnarkose unterziehen mussten. Bei ihnen nahmen die Forschenden vor und während der Anästhesie alle 30 Minuten gleichzeitig Atem- und Blutproben.
Dr. Jiafa Zeng, Erstautor der Studie, sammelte die ausgeatmete Luft der Patientinnen und Patienten mit der Hilfe und Anleitung des verantwortlichen Anästhesisten Dr. Nikola Stankovic. Die Atemluftprobe sammelten sie dabei in speziell dafür entwickelten Kunststoffbeuteln, um sie im Labor mittels Massenspektrometrie zu analysieren. «Das Gerät ist zu gross, um es im Operationssaal unterzubringen», erklärt Zeng. Die Blutproben untersuchten Forschende am Universitätsspital Zürich Tage bis Wochen nach der jeweiligen Entnahme.
Atemanalyse zeigt auch Stress im Körper
Der Vergleich der Messwerte zeigte: Der Wirkstoff und seine Abbauprodukte liessen sich zuverlässig im Atem nachweisen. Zudem entsprachen die Ergebnisse der Atemanalyse sehr gut den im Blut gemessenen Konzentrationen.
Die Atemanalyse zeigte aber noch mehr, nämlich eine ganze Reihe von Stoffen, die der Organismus in Reaktion auf eine bestimmte Art von Stress während einer Narkose und Operationen produziert. Fachleute sprechen von oxidativem Stress. «Wir können mit dieser Methode also nicht nur die Propofol-Konzentration bestimmen, sondern auch messen, wie der Körper auf die Anästhesie und die Operation reagiert», erklärt Pablo Sinues. Die sehr seltenen Fälle, in denen Propofol zu Komplikationen führt – insbesondere bei Kindern –, liessen sich anhand dieser Messwerte womöglich frühzeitig erkennen.
Atemluft statt Blutproben
Mit Unterstützung eines Eccellenza-Stipendiums des Schweizerischen Nationalfonds erforschen Sinues und sein Team seit mehreren Jahren, wie man Atemanalysen für die Diagnostik und individuelle Dosierung von Medikamenten einsetzen kann. Insbesondere Kinder und ältere Personen könnten davon profitieren.
Atemanalyse-Labor am Universitäts-Kinderspital Basel
Bei jedem Ausatmen geben wir Tausende von Molekülen an die Umgebungsluft ab. Doch unser Atem wird diagnostisch wenig genutzt, obwohl er wertvolle bio-chemische Informationen über unseren Gesundheitszustand enthält. Der Geruchssinn wurde z.B. bereits von Ärzten im alten Griechenland und in China genutzt, um qualitative Patienteninformationen zu erhalten. Heute stützen sich nur wenige diagnostische Tests auf die ausgeatmete Luft.
Das Atemanalyse-Labor am Universitäts-Kinderspital Basel (UKBB) sieht das Potenzial der Atemanalyse als nicht-invasive Methode zur Unterstützung der klinischen Entscheidungsfindung. Das Labor setzt Analyseplattformen in Kombination mit Berechnungswerkzeugen ein und verwendet modifizierte Massenspektrometer. Diese sind so konzipiert, dass sie ausgeatmete Moleküle in winzigen Konzentrationen nahezu in Echtzeit erfassen.
In früheren Arbeiten konnten die Forschenden beispielsweise zeigen, dass sich Epilepsie-Medikamente und ihre Abbauprodukte im Atem messen lassen, und diese Werte helfen können, die Medikamente richtig zu dosieren. Bisher sind dafür regelmässige Bluttests nötig. Auch den Zustand hospitalisierter Kinder mit Diabetes konnten sie mit dieser Methode gut überwachen.
Angelika Jacobs, Universität Basel