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Speicheltypen als möglicher Risikoindikator

Vielleicht schon bald gängiger Praxisalltag: Entnahme von Speichelproben, um mehr über die Bakterienzusammensetzung im Magen und Dünndarm zu erfahren. (Bild: Shutterstock)

Eine einfache Speichelprobe könnte künftig wertvolle Hinweise auf die Zusammensetzung des Magen- und Dünndarm-Mikrobioms liefern – und damit helfen das individuelle Risiko für bestimmte Erkrankungen abzuschätzen. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass sich das Mikrobiom des oberen Verdauungstrakts zuverlässig über Speichelproben charakterisieren und Menschen verschiedenen Mikrobiomtypen zuordnen lassen.

Das orale Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Bakterien im Mundraum, spielt eine zentrale Rolle für die Gesundheit eines Menschen: Es beeinflusst das Risiko und den Verlauf zahlreicher Erkrankungen von der Mundhöhle bis zur Speiseröhre und dem Magen sowie von Entzündungen im Darm und Infektionen der Atemwege und des Herzens (Endokarditis). Es kann als Reservoir für Erreger dienen, die für gesunde Menschen harmlos sind, aber bei Personen mit geschwächtem Immunsystem schwere Krankheiten auslösen können.

«Das Mikrobiom von Magen und Dünndarm ist jedoch noch verhältnismässig unerforscht», sagt W. Florian Fricke, Professor im Fachgebiet Mikrobiom und Angewandte Bioinformatik der Universität Hohenheim (D). «Um Proben aus Magen und Dünndarm zu nehmen, müssen sich Patientinnen oder Studienteilnehmer einer aufwändigen und unangenehmen Magenspiegelung unterziehen. Viel einfacher und unkomplizierter lassen sich Speichelproben aus dem Mund gewinnen», erklärt der Experte.

Enge Verbindung zwischen Mund- und Dünndarmmikrobiom

In einer Studie mit 20 Personen, die sich wegen leichter nahrungsmittelbedingter Magen-Darm-Beschwerden einer Magenspiegelung unterziehen mussten, konnten die Forschenden zwei stabile Mikrobiomtypen in Speichel, Magen und Dünndarm identifizieren. Diese bakteriellen Gemeinschaften waren bei den betreffenden Personen vom Mundraum bis in den Magen und Dünndarm konstant und wurden von jeweils einer Bakteriengattung dominiert.

Bestätigen konnten die Forschenden diese Ergebnisse an einem öffentlich zugänglichen Datensatz von 254 Menschen, die an der «Reimagine»-Studie teilnahmen. Dabei handelt es sich um eine gross angelegte Forschungsinitiative des Cedars-Sinai Medical Center in den USA, die sich mit der Zusammensetzung und Funktion des Dünndarm-Mikrobioms bei Gesundheit und Krankheit des Menschen beschäftigt.

Besonders interessant ist der Speichel-Mikrobiomtyp, in dem die Bakteriengattung Prevotella-7 vorherrscht. Teilnehmende beider Studien mit diesem Profil wiesen geringere Mengen potenziell krankmachender Bakterien auf, darunter Arten, die mit Endokarditis (Herzinnenhautentzündung) oder Darmkrebs in Verbindung stehen.

Ausserdem hatten sie niedrigere Werte des Entzündungsmarkers TNF-α im Blut. Da dieses Protein als Zytokin bei vielen chronisch-entzündlichen und Autoimmunerkrankungen eine wichtige Rolle spielt, könnte das auf ein insgesamt geringeres Risiko für Entzündungen und Infektionen bei Menschen mit diesem Mikrobiomtyp hinweisen.

Präzise Analysen trotz geringer Bakterienzahl

Die Ergebnisse basieren auf einem neu entwickelten Verfahren, mit dem sich auch aus den vergleichsweise bakterienarmen Proben aus Speichel, Magen und Zwölffingerdarm verlässliche Aussagen über das Mikrobiom ableiten lassen. «Aufgrund der geringen Bakterienzahl kann schon ein geringer Eintrag von Bakterien, die nahezu überall in der Umwelt und im Labor vorkommen, bei der Aufarbeitung der Proben zu Verunreinigungen führen, die die Ergebnisse stark verfälschen», erklärt Doktorandin Nina Schmidt die Problematik. Um die Zuverlässigkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, schloss die Forschungsgruppe deshalb mögliche Verunreinigungen durch strenge Kontrollen in allen Arbeitsschritten aus.

Grundlage für ihre Analysen ist das Erbgut der Bakterien. «Wir nutzten eine Kombination aus DNA und RNA, die sich in den Proteinfabriken der Zelle, den Ribosomen, befindet. RNA kann nur aus aktiven, lebensfähigen Mikroben isoliert werden», beschreibt die Wissenschaftlerin das Vorgehen. «So können wir zum Beispiel aktive Bakterienarten im Dünndarm von toten, verschluckten und inaktiven Bakterien aus dem Mund oder der Nahrung unterscheiden und die Zusammensetzung der relevanten bakteriellen Gemeinschaften in Magen und Dünndarm besser beschreiben.»

Einfaches Instrument zur individuellen Risikoprognose

«Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Speichelproben künftig in nicht-invasiven und regelmäßig wiederholbaren diagnostischen Tests eingesetzt werden könnten, um das individuelle Risiko für bestimmte entzündliche und infektiöse Erkrankungen abzuschätzen», fasst Professor Fricke die Erkenntnisse zusammen.

Einsatz von Tieren im Projekt

Für die Entwicklung der Mikrobiomanalyse-Methodik des Forschungsprojekts wurden Proben aus dem Magen-Darm-Trakt von insgesamt 19 Mäusen verwendet. Dabei handelt es sich um Tiere, die bereits für ein anderes Forschungsprojekt getötet worden waren, so dass für dieses Projekt keine zusätzlichen Tiere verwendet wurden. Weitere Infos zum Thema unter www.uni-hohenheim.de/tierversuche

Eine solche Diagnostik könnte in der klinischen Praxis helfen, Risikogruppen frühzeitig zu identifizieren und gezielte Präventionsmassnahmen, zum Beispiel prophylaktische Antibiotikabehandlungen, einzuleiten. Angesichts der leichten Handhabung und geringen Belastung für die Patientinnen und Patienten könnten sich damit neue Wege für Speicheltest-basierte personalisierte Mikrobiom-Untersuchungen zur Prävention, Früherkennung und Beobachtung von Erkrankungen eröffnen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Gut Microbes publiziert.

www.uni-hohenheim.de

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