Am Druck hängt alles: die Bestimmung des Mechanismus einer Redoxreaktion und ihre gezielte Steuerung. Mit aktuellen Forschungsergebnissen dazu gibt die Universität Erlangen-Nürnberg so unterschiedlichen Feldern wie der chemischen Energieumwandlung und -speicherung sowie der Photokatalyse Auftrieb.
Die Universität erläutert dazu [1]: Bei Redoxreaktionen werden Elektronen zwischen Molekülen übertragen. Wenn nichts anderes geschieht, ändert sich dadurch die Ladung der Reaktionspartner. Das ist aber energetisch ungünstig, und so versucht es die Natur mit einer Kompensation: Oft koppelt sie die Übertragung von Elektronen an die Übertragung von Protonen. Bei dieser sogenannten Protonen-gekoppelten Elektronenübertragung (PCET) entsteht keine Ladungsänderung, denn der Übertragung einer negativen Ladung (Elektron) steht die Übertragung einer positiven Ladung (Proton) gegenüber. Dies ist der effizienteste Mechanismus, um eine Redoxreaktion ablaufen zu lassen.
Dabei gibt es zwei mögliche Mechanismen [1]. Entweder werden Elektronen und Protonen gleichzeitig («konzertiert») übertragen, oder die Übertragung erfolgt stufenweise, getrennt nach Elektronen und Protonen. Ein Hindernis bei der Optimierung von Redoxreaktionen bestand bisher in der Unkenntnis darüber, welcher der Mechanismen gerade wirkt.
«Bisher gab es keine direkte Methode, um die beiden Möglichkeiten zweifelsfrei zu unterscheiden. Hier setzt unsere Arbeit an», erklärt Prof. Dr. Dirk M. Guldi, Lehrstuhl für Physikalische Chemie I der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Druck als Schlüssel
Die Forschenden untersuchten den Einfluss von Druck auf die innerhalb von Nanosekunden ablaufende lichtinduzierte PCET eines photosensitiven Moleküls in Lösung unter hohem Druck untersucht, genauer: eines angeregten Zustands des Rutheniumkomplexes [Ru(2,2′-bipyridin)2(2-{2′-pyridyl}imidazol)]2+. Dieser Komplex fungierte im Experiment gleichzeitig als Elektron- wie auch als Proton-Donor. Als Elektron-Akzeptor diente das 1-Methyl-4-(4-pyridyl)pyridinium-Ion (Trivialname: Monoquat) und als Proton-Akzeptor Wasser oder ein Puffer [2].
Es war bereits bekannt, dass der Rutheniumkomplex sowohl Protonen als auch Elektronen auf Akzeptormoleküle überträgt. Wie diese Prozesse im Einzelnen ablaufen, war aber noch ungeklärt. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen [1]: Die quantitative Messung des Effekts von Druck auf die Reaktionsgeschwindigkeit ermöglicht direkte Rückschlüsse auf die ablaufenden Mechanismen.
Ergebnisse für niedrige Puffer-Konzentrationen
Die Forschenden starteten das Experiment mit niedrigen Puffer- bzw. Quencher-Konzentrationen und beobachteten zunächst einen stufenweisen Mechanismus für Protonen- und Elektronen-Transfer. Dann wurde der Druck erhöht. Der Protontransfer verlangsamte sich, während sich der Elektronen-Transfer beschleunigte. Beide bewegten sich quasi aufeinander zu und verschmolzen offenbar.
Hält man die Reaktionsgeschwindigkeit konstant, so gelangt man bei hohem Druck – im Experiment der bis zu 1200-fache Atmosphärendruck – zu einer konzertierten Reaktion. Elektronen und Protonen werden gleichzeitig übertragen, wobei sich weder die Ladung noch die damit verbundene Anordnung der Lösungsmittelmoleküle rund um die Rutheniumkomplex-Moleküle ändern.
Ergebnisse für hohe Puffer-Konzentrationen
Etwas anders liegen die Verhältnisse, wenn das Experiment bei höheren Konzentrationen von Puffer oder Quencher durchgeführt wird. Dann zeigt die Reaktionsgeschwindigkeit keine Druckabhängigkeit.
Dies kann als eindeutiges Zeichen für einen konzertierten Mechanismus gewertet werden. Verändert sich dagegen die Reaktionsgeschwindigkeit, deutet dies auf Ladungsänderungen hin und auf eine Änderung der Anordnung der Lösungsmittelmoleküle rund um die Rutheniumkomplex-Moleküle. Dies weist auf einen stufenweisen Reaktionsablauf.
Gezielte Steuerung von Redoxreaktionen
Zu ihrer Überraschung konnten die Forschenden nicht nur die Art des Mechanismus bestimmen, sondern den Prozess auch beeinflussen [1]: Druckerhöhung lenkte die Reaktion von einem stufenweisen Mechanismus in Richtung eines konzertierten Mechanismus. Diese Ergebnisse zeigen, dass der Druck nicht nur als Vehikel zur Überwachung von Ladungsänderungen und zur Identifizierung der Mechanismen von Redoxreaktionen beitragen, sondern auch zur gezielten Steuerung dienen kann.
«Die neuen Erkenntnisse sind von grundlegender Bedeutung für zahlreiche Forschungsbereiche, die sich mit der Bewegung von Elektronen und Protonen befassen», betont Daniel Langford, Erstautor der aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Nature Chemistry [2].
Sie bieten nicht nur neue Einblicke in grundlegende chemische Prozesse, sondern können auch dazu beitragen, neue Technologien im Zusammenhang mit der Umwandlung und Speicherung chemischer Energie voranzutreiben. Beispiele dafür stellen die Erzeugung von Treibstoffen mit Solarenergie oder die Wasserstoffproduktion dar, denn die chemische Energieumwandlung und -speicherung in natürlichen und künstlichen Systemen beruht auf protonengekoppelten Elektronentransferprozessen [2]. Darüber hinaus könnten gezielt gesteuerte PCET-Reaktionen von Komplexen im angeregten Zustanden, ähnlich wie bei dem hier beschriebenen Rutheniumkomplex, zu Fortschritten im aufstrebenden Feld der Photokatalyse führen [3].
Literatur
1. Mangelkramer, B.: Redoxreaktionen: Mit Hochdruck entschlüsselt. https://idw-online.de/de/news849362, Zugriff am 11.7.2025
2. Langford, D., Rohr, R., Bauroth, S. et al.: High-pressure pump–probe experiments reveal the mechanism of excited-state proton-coupled electron transfer and a shift from stepwise to concerted pathways. Nat. Chem. 17, 847–855 (2025). https://doi.org/10.1038/s41557-025-01772-5
3. Rosichini, A., Glover, S.D. Squeezing the mechanism out of photochemical reactions. Nat. Chem. 17, 789–790 (2025). https://doi.org/10.1038/s41557-025-01823-x