Offizielles Organ des Schweizerischen
Chemie- und Pharmaberufe Verbandes

Pumpen und Ventile aus hauchdünner Folie

Stufenlos ein Vakuum von bis zu 300 Millibar Druck ziehen: Doktorandin Carmen Perri mit dem Vakuumpumpen-Prototyp. Um die Technologie zu veranschaulichen, zieht die Folie im Demonstrator ein Vakuum in einer Glasglocke mit Luftballon. (Bild: Oliver Dietze)

Dank einer speziellen Silikonfolie lassen sich jetzt ausgesprochen genügsame Pumpen und Ventile konstruieren, die auf Schmiermittel und vieles mehr verzichten und sich damit für den Einsatz im Reinraum empfehlen.

Kompakt, leicht, flach und energieeffizient: Eine dünne Silikonfolie macht eine neue Art miniaturisierter Pumpen und Ventile möglich. Sie funktionieren auf kleinem Raum, ohne Druckluft, ohne Motoren und Gerätschaften und ohne Schmiermittel. Sie sind reinraumtauglich, lassen sich während des Betriebs regulieren und ziehen stufenlos ein Vakuum von bis zu 300 Millibar Druck.

Vakuum ist in vielen Bereichen gefragt: sei es im Bremskraftverstärker von Autos oder in medizinischen Absaugsystemen im OP-Saal, in den Laboren der Pharmazie und Biotechnologie und vielfach auch in der Industrie. Unter Vakuum werden Lebensmittel schonend getrocknet und Saugnapfgreifer sortieren damit Produkte auf Förderbändern. Um das Vakuum zu ziehen ist heute oft Druckluft im Spiel. Dabei kommen Pumpen zum Einsatz, die im Hintergrund mit Kompressoren oder Motoren betrieben werden. Grundsätzlich kann dies unter Ölschmierung erfolgen, aber in Reinräumen und in sterilen Umgebungen verbietet sich das wegen der Kontaminationsgefahr. Operationswunden oder Lebensmittel sollen nicht mit Schmiermitteln verunreinigt werden. Im industriellen Bereich beeinträchtigen Ölspuren zum Beispiel die Wirkung von Klebstoffen.

Die regelmässige Wartung verursacht einen erheblichen Aufwand; ausserdem verbrauchen herkömmliche Kompressoren oder Motoren eine Menge Energie. Durch ihre Geräuschentwicklung beeinträchtigen sie die Mitarbeiter und erschweren schlimmstenfalls die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen.

Dünne Folien mit «akrobatischem» Talent

Gänzlich ohne Druckluft oder Motoren, dafür mit wenig Energie kommen die Pumpen und Ventile aus, welche die Forschungsgruppe der Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) entwickelt: Sie funktionieren mit dünnen Silikonfolien, in die allein mithilfe von elektrischer Spannung Bewegung kommt.

«Die Technologie ist kostengünstig in der Herstellung, die Bauteile sind leicht, das hilft Platz und Gewicht zu sparen. Dazu sind diese Pumpen und Ventile erheblich energieeffizienter als heutige Verfahren», sagt Paul Motzki. «Im Vergleich zu einem marktüblichen Prozessventil für Druckluft, das mit einem Elektromagneten betrieben wird, hat dasselbe Ventil mit unserem Antrieb einen 400-mal niedrigeren Energieverbrauch», erklärt der Professor für smarte Materialsysteme für innovative Produktion an der Universität des Saarlandes und Zema-Geschäftsführer.

Auch kommen diese Verfahren ohne schwer verfügbare oder teure Materialien wie seltene Erden oder Kupfer aus. Und im Gegensatz zu mit Kompressoren betriebenen Pumpen sind die Folienpendants zudem angenehm leise.

Die Forschenden können die 50 Mikrometer dünnen Folien nach Belieben Bewegungen vollführen lassen. Hierzu sind diese beidseitig mit einer elektrisch leitfähigen, hochdehnbaren Elektrodenschicht bedruckt. Legen die Ingenieure hier eine elektrische Spannung an, drückt sich die Folie wegen der elektrostatischen Anziehung vertikal zusammen und dehnt sich in ihrer Fläche aus.

Innovationsfeld von Reinraumtechnik bis Robotik

«Mit diesen sogenannten dielektrischen Elastomeren entwickeln wir verschiedene neuartige Antriebe, die keine zusätzlichen Sensoren benötigen», erläutert Motzki.

Indem die Forschenden das elektrische Feld verändern, können sie die Folien stufenlos Hub-Bewegungen verrichten oder auch mit beliebiger Frequenz und Schwingung vibrieren lassen. Die Folie kann auch jede gewünschte Stellung halten, wobei sie im Übrigen keinen Strom verbraucht.

An der Technologie der dielektrischen Elastomere forschen in der Gruppe der beiden Professoren auch viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im Rahmen mehrerer Doktorarbeiten. Sie ist Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und wurde in mehreren Forschungsprojekten gefördert: unter anderem von der EU im Rahmen eines Marie-Curie Research Fellowships, von der saarländischen Landesregierung im Rahmen der EFRE-Projekte Ismat und Multi-Immerse sowie unter anderem auch durch die Mesaar im Rahmen eines Promotionskollegs. Das Forschungsteam nutzt die Technologie für die verschiedensten Anwendungen, ausser für reinraumtechnisch vorteilhafte Ventilen und Pumpen auch für Lautsprecher, smarte Textilien (z.B. Sensorstreifen zur kontinuierlichen Überwachung von Bauteilen aus karbonfaserverstärktem Kunststoff), für ein haptisches Feedback von Geräten (ähnlich wie beim «vibrierenden Handy») und für Robotergreifer.

Ihre Zustandsüberwachung übernimmt die Pumpe selbst

«Die Folien sind selbst ihr eigener Sensor. Die Funktion eines Positionssensors liefern die dielektrischen Elastomere gleich mit», sagt Motzki.

Jede Verformung der Folie lässt sich einem Messwert der elektrischen Kapazität zuordnen. Bei der kleinsten Bewegung verändern sich die Werte. Anhand der Messwerte erkennen die Ingenieure, wie die Folie mechanisch ausgelenkt ist, also wie sie sich gerade verformt. In einer Regelungseinheit können sie anhand dieser Messwerte mithilfe Künstlicher Intelligenz Bewegungsabläufe programmieren. Eingesetzt als Antrieb in entsprechenden Apparaturen ziehen und lösen die Folien in motorlosen Pumpen ein Vakuum mit gewünschtem Druck, dosieren als Ventil Flüssigkeiten exakt oder fungieren als stufenlose Schalter.

Ausserdem können die Folienpumpen und -ventile ihren eigenen Zustand überwachen und signalisieren, wo der Fehler liegt. Die Messwerte verraten, wenn etwas schiefgeht, also etwa das Vakuum nicht richtig gezogen wurde oder Ventil oder Pumpe durch einen Fremdkörper blockiert sind. Passiert dies heute in grossen Industrieanlagen, kann die Fehlersuche mitunter kompliziert werden.

Mit ihrem neuesten Vakuumpumpen-Prototyp demonstriert die Forschungsgruppe seine Technologie auf der diesjährigen Hannover Messe: Bis zu 300 Millibar Druck absolut schafft ihr Folienantrieb bereits.

Paul Motzki, Professor für smarte Materialsysteme für innovative Produktion der Universität des Saarlandes und Geschäftsführer des Zentrums für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA). (Bild: Oliver Dietze, Universität des Saarlandes)

Bis zu 300 Millibar Druck absolut schafft ihr Folienantrieb bereits. «Die Technologie lässt sich einfach skalieren. Hierzu schalten wir unsere Aktoren und Pumpenkammern entweder parallel oder in Reihe oder beides zugleich und können so Druck und Volumenstrom vergrössern», sagt Motzki.

Um die Technologie für Interessenten anschaulich zu machen, haben die Forschenden einen Demonstrator gebaut: Ihre smarte Folie zieht hier ein Vakuum in einer Vakuumglocke. Sichtbar wird dies an einem Luftballon, der sich im Innern der Glasglocke selbst «aufbläst» – eine Anordnung wie im Physikunterricht: Da die Luft um den Ballon herum abgesaugt wird, haben die Luftteilchen im Ballon mehr Platz, sich auszudehnen – nur, dass dies hier ganz ohne die laute Geräuschkulisse des Druckluftkompressors vonstattengeht.

Die Forschenden können ihre Pump- und Ventil-Technologie in verschiedensten Bauformen unterbringen, sie ist massentauglich und kann entsprechend weiterentwickelt binnen weniger Jahre zur Katalogware werden. Die Ergebnisse der anwendungsorientierten Forschung soll in die Industriepraxis gebracht werden. Hierzu haben sie aus dem Lehrstuhl heraus die Mateligent GmbH gegründet.

Claudia Ehrlich, Dr. Christian Ehrensberger

www.uni-saarland.de

Das könnte Sie auch interessieren:

Newsletter abonnieren