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Präziser Ladungsradius von myonischem Helium

Anna Soter experimentiert am PSI mit Pionen und Myonen. (Bild: Paul Scherrer Institut/Stefan Ritt)

Im Vergleich zu klassischen Bestimmungen der Radien von Atomkernen mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern haben Experimente am Paul-Scherrer-Institut (PSI) für myonisches Helium einen fünfzehn Mal genaueren Wert ergeben – eine Steilvorlage zur Verfeinerung des Standardmodells der Physik.

Myonisches Helium eignet sich besonders gut als Forschungsobjekt, weil das Myon im Vergleich zum Elektron so schwer ist und seine Auswirkungen auf die Gestalt des Atomkerns entsprechend höher. Dahinter steht eine bereits längere Erfolgsgeschichte. Sie begann am PSI mit myonischem Wasserstoff.

Starker Einfluss des Myons

Vor zwölf Jahren erregte eine Veröffentlichung über exotischen Wasserstoff grosses Aufsehen [1]. Die Ausgangsfrage lautet: Wenn den Kern statt eines Elektrons ein negativ geladenes Myon umkreist, welche Auswirkungen hat dies auf den Protonenradius (genauer: Ladungsradius)? Das Erstaunen war gross, als dieser Radius sich als signifikant kleiner erwies, als die bis dahin erfolgten Messungen an natürlichem Wasserstoff oder der Elektron-Proton-Streuung hätten vermuten lassen.

Die Experimente dazu hat das PSI, Villingen, mit seinem lasertechnischen Equipment ermöglicht, wobei vor allem die Bereitstellung einer grossen Zahl von Myonen eine entscheidende Voraussetzung darstellt. Beteiligt waren zahlreiche weitere Institutionen, darunter Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching bei München, die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich, die Universität Freiburg (Schweiz), das Institut für Strahlwerkzeuge (IFSW) der Universität Stuttgart, sowie von Dausinger & Giesen GmbH, Stuttgart.

Pionisches Helium gibt es wirklich

Die Untersuchungen hat man inzwischen von Wasserstoff auf Helium und von Myonen auf Pionen ausgeweitet. Bei den Pionen handelt es sich um Mitglieder der Teilchenfamilie der sogenannten Mesonen. Diese vermitteln auch die Kernkraft zwischen den Bausteinen der Atomkerne, den Neutronen und Protonen. Obwohl die elektrisch gleich geladenen Protonen sich heftig gegenseitig abstossen, klammert die stärkere Kernkraft sie zum Atomkern zusammen. Ohne diese Kraft würde also unsere Welt nicht existieren!

Vor fünf Jahren gelang es einem Team um Anna Soter, ETZ Zürich, erstmals, direkt die Existenz von längerlebigen pionischen Heliumatomen nachzuweisen [2]. In diesen ersetzt das Pion eines der beiden Elektronen des Heliumatoms in der Art einer automatisch ablaufenden chemischen Reaktion.

Pionisches Helium im Laserlicht: Das Pion (hier dargestellt als bestehend aus einem orangefarbenen und blauen Elementarteilchen, seinen beiden Quarks) ersetzt eines der beiden Elektronen im Heliumatom. Im Experiment wurde es mit Laserlicht angeregt (hier rot gezeigt). (Grafik: Max-Planck-Institut für Quantenoptik/Thorsten Naeser)

Das pionische Helium war bereits 1964 theoretisch vorhergesagt worden, nachdem damalige Experimente Hinweise auf dessen Existenz zeigten. Es galt aber als extrem schwierig, diese Vorhersage experimentell zu beweisen. Das ohnehin schon extrem kurzlebige Pion zerfällt im Atom noch schneller, nämlich typischerweise innerhalb einer Pikosekunde, also einer billionstel Sekunde. Doch im pionischen Helium kann es gewissermassen konserviert werden und lebt dadurch tausend Mal länger als in anderen Atomen.

Präziser Ladungsradius von Helium-3

Nun haben neue laserspektroskopische PSI-Experimente an myonischem Helium-3 unter massgeblicher Beteiligung von Forschern der Universität Mainz den bislang besten Wert für den Ladungsradius dieses Kerns ergeben [3]. Traditionell werden Radien von Atomkernen mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern bestimmt, doch im Vergleich zu solchen Messungen ist der nun veröffentlichte Wert von myonischem Helium fünfzehn Mal genauer, nämlich 1,97007 ± 0.00097 Femtometer.

Die präzise Bestimmung des Ladungsradius von Helium-3 und seines exakten Unterschieds zum Radius von Helium-4 erlaubt Rückschlüsse auf fundamentale Naturkonstanten und eröffnet neue Wege in der Suche nach bisher unbekannter Physik. (Bild: Julian Krauth)

Für Helium gibt es schon länger präzise Messungen, jedoch ist das Heliumatom mit seinen zwei Elektronen noch nicht genau genug berechnet worden, um aus den Messungen einen Radius des Heliumkerns zu bestimmen. Allerdings lässt sich auch für normales Helium bereits die Differenz der Ladungsradien verschiedener Isotope bestimmen. Hier zeigt sich nun eine gute Übereinstimmung der Messungen mit Myonen und den neuesten Messungen an normalem Helium durch ein Forschungsteam aus Amsterdam. In Kombination mit früheren PSI-Ergebnissen aus myonischem Helium-4 konnte auch der Unterschied der Ladungsradien zwischen Helium-3 und Helium-4 exakt bestimmt werden.

Essenzielle Erkenntnisse für die Physik

Präzises Wissen über die Radien von Atomkernen ist unter anderem für die Bestimmung fundamentaler Naturkonstanten wie der Rydberg-Konstante unerlässlich. Auch die Suche nach neuer Physik, also Teilchen und Kräften, die das bestehende Standardmodell noch nicht beinhaltet, benötigt präzise Kenntnisse der Kernladungsradien. Für die Zukunft ist eine im Vergleich zu Experimenten an Teilchenbeschleunigern zehnfach genauere Bestimmung der Atomkerne von Lithium bis Neon. Statt Laser sollen nun aber neuartige Röntgendetektoren zum Einsatz kommen.

Dr. Christian Ehrensberger

Literatur

1. Aldo Antognini, François Nez, Karsten Schuhmann, Fernando D. Amaro, François Biraben, João M. R. Cardoso, Daniel S. Covita, Andreas Dax, Satish Dhawan, Marc Diepold, Luis M. P. Fernandes, Adolf Giesen, Andrea L. Gouvea, Thomas Graf, Theodor W. Hänsch, Paul Indelicato, Lucile Julien, Cheng-Yang Kao, Paul Knowles, Franz Kottmann, Eric-Olivier Le Bigot, Yi-Wei Liu, José A. M. Lopes, Livia Ludhova, Cristina M. B. Monteiro, Françoise Mulhauser, Tobias Nebel, Paul Rabinowitz, Joaquim M. F. dos Santos, Lukas A. Schaller, Catherine Schwob, David Taqqu, João F. C. A. Veloso, Jan Vogelsang, Randolf Pohl: Proton structure from the measurement of 2S − 2P transition frequencies of muonic hydrogen. Science 25. Januar 2013
2. M. Hori, H. Aghai-Khozani, A. Sótér, A. Dax, D. Barna: Laser spectroscopy of pionic helium atoms. Nature, 6. Mai 2020 (online).
3. Karsten Schuhmann et al.: The helion charge radius from laser spectroscopy of muonic helium-3 ions. Science, 22. Mai 2025

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