Offizielles Organ des Schweizerischen
Chemie- und Pharmaberufe Verbandes

MEDIADATEN

Suche
Close this search box.

Auszeichnung für pionierhafte Umweltchemie

Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) hat kürzlich die Eawag als bedeutende historische Stätte der Chemie geehrt. Die Anerkennung gilt gleichwohl Werner Stumm, der die Umweltchemie als interdisziplinäres Feld formiert und das Dübendorfer Wasserforschungsinstitut zu einem wichtigen Akteur transformiert hatte. Die Errungenschaften haben massgeblich zum Verstehen der komplexen Prozesse in der Natur und zu sauberen Gewässern in der Schweiz beigetragen.
Bedeutende historische Stätte der Chemie: Mit der Lancierung der Umweltchemie hat die Eawag unter ihrem Direktor Werner Stumm die Chemie revolutioniert. (Bild: Luca Meister)

Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) hat kürzlich die Eawag als bedeutende historische Stätte der Chemie geehrt. Die Anerkennung gilt gleichzeitig Werner Stumm, der die Umweltchemie als interdisziplinäres Feld formiert und das Dübendorfer Wasserforschungsinstitut zu einem wichtigen Akteur transformiert hatte. Die Errungenschaften haben massgeblich zum Verstehen der komplexen Prozesse in der Natur und zu sauberen Gewässern in der Schweiz beigetragen.

Nach der Geburtsstätte der Ovomaltine, der Forschungsstation Jungfraujoch, dem Arbeitsort von Paracelsus sowie diversen Chemie-Instituten und Unternehmen hat die Schweiz ein weiteres «Chemical Landmark» erhalten: Die Eawag, verbunden mit dem Wirken ihres ehemaligen Direktors Werner Stumm, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Der mit diversen Preisen ausgezeichnete Chemiker hatte die Eawag von 1970 bis 1992 geleitet und zu einem weltweit renommierten Wasserforschungsinstitut transformiert. Dass die Schweiz heute so saubere Flüsse und Seen hat, ist massgeblich ihm und seinen Wegbestreitern zu verdanken. Diverse heute verbreitete Wasseraufbereitungstechnologien, mit denen Elemente, Moleküle oder Partikel abgeschieden werden, basieren auf seinen Ideen.

Stumm galt als einer der führenden Wissenschaftler der Aquatischen Chemie und befasste sich mit Eisen-Korrosionsprozessen, kinetischen Gesetzen für die Oxidation von Eisen und Mangan in Wasser oder der Chemie von Verwitterungsprozessen von Mineralien, die in Kontakt mit Wasser stehen. Ebenso interessierte er sich für die chemischen Aspekte bei Umweltfragen wie der Filterung von Wasser oder wie in Wasser gelangte Nährstoffe das Algenwachstum fördern. Nachdem er 1952 in Anorganischer Chemie an der Universität Zürich promoviert hatte, ging er 1954 in die USA, wo er 1956 Assistenzprofessor, 1961 ausserordentlicher Professor und von 1964 bis 1969 als Professor an der Harvard University tätig war.

Dicker Phosphatschaum auf der Aare

Gemäss einer Anekdote soll die in den 1960er-Jahren mit einer aufgrund phosphathaltiger Substanzen gebildeten Schaumschicht überzogene Aare auf Stumm wie ein Alarmsignal gewirkt haben. Der Pionier der Umweltchemie hatte die Grundstrukturen geschaffen, um den Einfluss des Klimawandels auf Ökosysteme und Gesellschaften hinsichtlich des Wassers besser zu verstehen. Schon früh hatte er erkannt, dass die Umweltwissenschaften interdisziplinär und die Gewässerschutzprobleme gesamthaft und dauerhaft angegangen werden müssen. So propagierte er den Blick «über das Wasser hinaus» und erkannte, dass der Bau von Kläranlagen oder Wasseraufbereitungsanlagen nicht ausreichten.

Werner Stumm (links) war überzeugt: Um die Prozesse in der Umwelt zu verstehen, muss man die zugrunde liegenden molekularen Prozesse erforschen. (Bild: Eawag)

Stumm war der Ansicht, dass man die Vorgänge in der Umwelt nur verstehen kann, wenn man die grundlegenden Prozesse auf molekularer Ebene erforscht. Er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter übertrugen deshalb die Laborforschung im Reagenzglas auf die komplexen Stoff- und Wirkungskreisläufe in der Natur. Sie erkannten dabei jedoch, dass die Chemie alleine nicht reichte, um die natürlichen Phänomene zu untersuchen. Daneben müssen auch geologische, biologische, physikalische und gesellschaftliche Gesichtspunkte einbezogen werden. Um noch einmal zu den Kläranlagen zurückzukehren: Anstelle nur das Abwasser zu säubern, sollte der ganze Wasserkreislauf einschliesslich Atmosphäre, Boden und Menschen in die Aktivitäten einbezogen werden. So war das neue Forschungsfeld der Umweltchemie lanciert. In dieser Hinsicht war (und ist) die Eawag eine Vorreiterin: Sie untersucht Umweltphänomene und -probleme ganzheitlich und disziplinenübergreifend.

«The Advocat of Natural Water»

Über bestimmte Themen, die nach der Jahrtausendwende öffentlich an Relevanz gewannen, hatte Stumm bereits mehr als 20 Jahre früher publiziert – und wurde damals nur wenig zitiert. Doch nach der Tschernobyl-Katastrophe und dem Schweizerhalle-Unfall 1986 war das durch sauren Regen oder Waldsterben geschärfte Bewusstsein angekommen. 1987 wurde der multidisziplinäre Studiengang «Umweltnaturwissenschaften» an der ETH Zürich ins Leben gerufen und 1989 wurde Stumm zum Professor der Umweltchemie ernannt. Nach diversen Auszeichnungen erhielt er 1999 posthum den Stockholm Water Price, auch bekannt als der «Wasser-Nobelpreis».

Chemical Landmarks in der Schweiz

Seit 2009 wählt die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) historische Stätten aus, um das wissenschaftliche und technologische Erbe im Bereich der Chemie innerhalb der Schweiz zu identifizieren und auszuweisen. Bedeutsame Orte werden mit einem «Chemical Landmark» ausgezeichnet, um Chemiker, Studenten, Lehrer und Historiker sowie die Öffentlichkeit an chemische Entdeckungen, an berühmte Chemiker und an deren Orte des Wirkens zu erinnern.

Die auf dem Eawag-Gelände angebrachte Gedenktafel des «Chemical Landmark». (Bild: Luca Meister).


Stumm, der die Eawag als «The Advocat of Natural Water» bezeichnete, hatte stets darauf hingewiesen, dass die steigende Anzahl an industriell produzierten Substanzen im Auge behalten werden muss und suchte nach besseren analytischen Methoden. Bis heute machen neue Schadstoffe und neue Chemikalien die Entwicklung neuer und empfindlicherer Analysemethoden notwendig – aktuellstes Beispiel sind die kommenden PFAS-Extraktionssysteme. In diesem Bereich spielt die Eawag nach wie vor eine wichtige Rolle. Standen früher Phosphate aus Waschmitteln und Landwirtschaft im Fokus, sind es heute Pestizide, Medikamente oder Mikroplastik, die das Wasserforschungsinstitut beschäftigen. Die Relevanz sauberen und sicheren Wassers für Menschen, Lebewesen und Ökosysteme, das bei Bedarf verfügbar und frei von Verunreinigungen ist, bleibt vor dem Hintergrund des Klimawandels hoch.

Die Eawag ist heute eine der führenden Adressen, wenn es darum geht, aquatische Systeme zu verstehen und technische Lösungen zur Verbesserung der Wasserqualität zu entwickeln. Neben der konsequenten Ausrichtung auf eine solide interdisziplinäre Grundlagenforschung stärkte das Wasserforschungsinstitut unter Werner Stumm auch die entsprechende Aus- und Weiterbildung von Fachleuten für die Praxis. Sie war eine der treibenden Kräfte bei der Einführung des Studiengangs für Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich.

Luca Meister

https://chem.scnat.ch/de/chemical_landmarks
www.eawag.ch

Das könnte Sie auch interessieren:

Newsletter abonnieren

Login