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Pilz + Zellulose = Plattformchemikalie

Der Pilz Talaromyces verruculosus kann die vom Markt bisher wenig beachtete Chemikalie erythro-Isozitronensäure direkt aus billigen Pflanzenabfällen produzieren und somit für eine industrielle Nutzung interessant machen. Unter Verwendung der natürlichen Fähigkeiten des gentechnisch nicht veränderten Pilzes hat eine Forschungsgruppe aus Jena (D) damit eine Methode zur effizienten Umwandlung von Zellulose in eine Form der Isozitronensäure entdeckt.
Talaromyces verruculosus unter dem Mikroskop. (Bild: Leibniz-HKI, Ivan Schlembach)

Der Pilz Talaromyces verruculosus kann die vom Markt bisher wenig beachtete Chemikalie erythro-Isozitronensäure direkt aus billigen Pflanzenabfällen produzieren und somit für eine industrielle Nutzung interessant machen. Unter Verwendung der natürlichen Fähigkeiten des gentechnisch nicht veränderten Pilzes hat eine Forschungsgruppe aus Jena (D) damit eine Methode zur effizienten Umwandlung von Zellulose in eine Form der Isozitronensäure entdeckt.

Als natürliche Stoffwechselprodukte der meisten Lebewesen gehören Zitronensäure und Isozitronensäure zu den am weitesten verbreiteten Säuren in der Natur. Zitronensäure wird industriell in grossen Mengen mit dem Schimmelpilz Aspergillus niger hergestellt. Mit einer Jahresproduktion von etwa 2,8 Millionen Tonnen weltweit ist sie eines der volumenstärksten biotechnologischen Produkte überhaupt. Ihr Anwendungsspektrum ist enorm: Ob als Entkalkungsmittel, Konservierungsstoff, Pflegeprodukt oder Geschmacksverstärker – die vielseitige natürliche Chemikalie ist ein wichtiger und zudem billiger Zusatzstoff in der Industrie, da die biotechnologische Gewinnung äusserst effizient und unkompliziert verläuft. Auch die Herstellung von Biokunststoffen und Biokraftstoffen aus Zitronensäure ist technisch möglich. Da Zitronensäure jedoch aus Zucker hergestellt wird und damit in direkter Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht, sind diese Anwendungsfelder bisher weder wirtschaftlich noch nachhaltig. Tatsächlich verbraucht die Produktion von Zitronensäure momentan mehr als 1 Prozent der globalen Zuckerproduktion.

Zitronensäure und Isozitronensäure sind eng verwandt und weisen nur geringe Unterschiede in ihrer Molekülstruktur auf.
Zitronensäure und Isozitronensäure sind eng verwandt und weisen nur geringe Unterschiede in ihrer Molekülstruktur auf. (Bild: Leibniz-HKI, Friederike Gawlik)

Isozitronensäure ist der Zitronensäure sehr ähnlich, lediglich eine Hydroxylgruppe ist an einem anderen Kohlenstoffatom positioniert. Damit wird das Molekül asymmetrisch und es existieren zwei unterschiedliche Varianten, sogenannte Diastereomere, die als threo– und erythro-Isozitronensäure bezeichnet werden. Jedes Diastereomer hat nochmal zwei spiegelbildliche Varianten, die D- und L-Form. Zitronen- und Isozitronensäure haben beinahe identische Eigenschaften und es ist zu vermuten, dass die Iso-Form ebenso breit einsetzbar wäre. Das dem nicht so ist, liegt daran, dass es bislang noch kein effizientes Herstellungsverfahren für reine Isozitronensäure gab, sie ist daher momentan nur als Forschungschemikalie verfügbar. So kostet ein Kilogramm der Substanz aktuell zirka 18 000 Euro.

Durch das neue Produktionsverfahren wird jedoch eine nachhaltige und preisgünstige Produktion aus pflanzlichen Abfall- und Reststoffen wie Stroh, Altpapier oder Holzresten ermöglicht, die es in Zukunft erlauben könnte, Isozitronensäure sogar günstiger als Zitronensäure herzustellen. Für die Nutzung solcher erneuerbaren Ausgangsmaterialien war bislang ein komplexes, dreistufiges Verfahren erforderlich. Hierbei benötigte man teure Enzyme, um die Zellulose zunächst enzymatisch in Zucker aufzuspalten, damit sie schliesslich von den Mikroorganismen verwertet werden konnte.

Ein Pilz – ein Prozess

Ein vielversprechender Ansatz ist die sogenannte konsolidierte Bioprozesstechnik (engl. Consolidated Bioprocessing – CBP), bei der verschiedene Verfahrensschritte unter Verwendung geeigneter Mikroorganismen zu einem einzigen Prozess zusammengefasst werden. Star des neuen biotechnologischen Verfahrens ist der Schimmelpilz Talaromyces verruculosus.

Drei Kolonien von Talaromyces verruculosus in einer Petrischale.
Drei Kolonien von Talaromyces verruculosus in einer Petrischale. (Bild: Leibniz-HKI, Ivan Schlembach)

Bei Screening-Tests entdeckte Erstautor Ivan Schlembach, dass der aus der Natur isolierte Wildtyp von T. verruculosus Lignozellulose direkt in erythro-Isozitronensäure umwandeln kann, und zwar en masse und sehr effizient in einem einzigen Prozess, bei dem der Pilz alle benötigten Enzyme hierfür selbst bildet.

In Experimenten haben die Forschenden die idealen Bedingungen für den Zelluloseabbau und die Produktion von Isozitronensäure ermittelt, einschliesslich Faktoren wie Stickstoffgehalt, pH-Wert, Temperatur und Nährstoffkonzentration. Daneben entwickelten sie neue Methoden, um die Aktivität des Enzyms Cellulase, das für den Abbau von Zellulose entscheidend ist, während des Fermentationsprozesses genau messen zu können. Dies ermöglicht eine optimale Steuerung des Herstellungsprozesses. Miriam Rosenbaum leitet das Biotechnikum am Leibniz-HKI und ist Professorin für synthetische Biotechnologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie erklärt: «T. verruculosus besitzt die einzigartige Fähigkeit, Lignozellulose mit einer bemerkenswerten Effizienz direkt in erythro-Isozitronensäure umzuwandeln. Die Umwandlungsraten des Pilzes sind dabei vergleichbar mit denen von Glukose, die im Labor als Ausgangsmaterial für den Fermentationsprozess genutzt wird. Mit dem Pilz haben wir einen einfacheren und günstigeren Prozess entwickelt.»

Produkt sucht Markt

Isozitronensäure lässt sich chemisch leicht in Itakonsäure umwandeln, für die bereits ein grosser Bedarf zur Produktion nachhaltiger Kunststoffe und Beschichtungen besteht. Fehlende Abnehmer sollte es bei einer günstigen Verfügbarkeit von erythro-Isozitronensäure also nicht geben. Allerdings besteht die gleiche Hürde wie für jede neue Substanz: Da erythro-Isozitronensäure bislang nicht in grossen Mengen verfügbar war, muss der Markt hierfür erst aufgebaut werden. Das jetzt entwickelte, deutlich günstigere Verfahren eröffnet erst neue Möglichkeiten und Anwendungen.

Besonders ist zudem die Tatsache, dass in dem Verfahren ausschliesslich erythro-Isozitronensäure und nicht ein Gemisch verschiedener Diastereomere gebildet wird. Das macht das Molekül vor allem für Spezialanwendungen, beispielsweise in der Pharmaindustrie, interessant. Bei Arzneistoffen ist häufig nur ein Diastereomer wirksam, es muss daher aus dem Gemisch beider Varianten aufwändig isoliert werden. ErythroIsozitronensäure kann als wertvoller chiraler Baustein für chemische Synthesen dienen.

Die spezifischen biologischen Eigenschaften von erythro-Isozitronensäure sind bislang noch wenig erforscht. Jedoch konnten für das Schwestermolekül threo-Isozitronensäure viele nützliche Eigenschaften demonstriert werden. So kann letztere insbesondere in der Medizin, der Pharma-, Kosmetik- oder Lebensmittelbranche eine wertvolle Ergänzung zur Zitronensäure darstellen, zum Beispiel als Chelatbildner, als Gerinnungshemmer bei Blutproben, als funktioneller Nahrungsergänzungsstoff, als Bestandteil von Kosmetika, als Konservierungsmittel oder als Anti-Aging-Verbindung in Lifestyle-Produkten.

Die Erkenntnisse unterstreichen, dass Organismen wie T. verruculosus die nachhaltige Verwertung von Bioabfällen ermöglichen und die Produktion wertvoller Chemikalien aus erneuerbarer Biomasse wirtschaftlich rentabel machen können. «Die Natur birgt ein enormes Potenzial, globale Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit anzugehen. Mit dem Pilz T. verruculosus ist der Grundstein für eine günstige grüne Technik gelegt, vielfältige industrielle Verwendungsmöglichkeiten von Isozitronensäure gibt es obendrein. Das einzige, was im Moment noch fehlt, ist die Offenheit des Marktes für das neue Verfahren», betont Ivan Schlembach.

Die Studie wurde in der Fachzeitschrift ACS Sustainable Chemistry & Engineering veröffentlicht. Die Forschungsgruppe ist nun dabei, den Prozess weiter zu optimieren und die biochemischen Reaktionen zur Bildung von Isozitronensäure aufzuklären. Durch die Verfeinerung biochemischer Parameter möchten die Forschenden zum Übergang zu einer nachhaltigen und ressourceneffizienten Bioökonomie beitragen. In Zukunft wollen sie gemeinsam mit interessierten Industriepartnern ausloten, ob das inzwischen patentierte Verfahren sich auch am Markt behaupten kann.

Friederike Gawlik, Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut (HKI)

www.leibniz-hki.de

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