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Chemie- und Pharmaberufe Verbandes

Künstliche Huminstoffe für die Landwirtschaft

Dr. Nader Marzban arbeitet an einem hydrothermalen Reaktor. (Bild: ATB)

Schnell, kontrolliert und aus Reststoffen: Ein am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie entwickeltes Verfahren zur künstlichen Herstellung von Huminstoffen ermöglicht eine vollständige Verwertung biologischer Reststoffe.

Humus ist wegen der darin enthaltenen Huminstoffe gut für das Pflanzenwachstum. Besonders fruchtbarer Boden enthält etwa 3 Prozent Huminsäuren, Torf etwa 3 bis 10 Prozent. Die Vorteile von Huminstoffen: Sie binden Feuchtigkeit und nützliche Mineralien im Boden und fördern ein gesundes Ökosystem für Mikroorganismen, welche Biomasse in nährstoffreiche Biostimulanzien umwandeln, die das Pflanzenwachstum unterstützen. Landwirte müssen weniger wässern, weniger düngen und der Boden regeneriert sich innerhalb weniger Jahre. Huminstoffe wirken ausserdem als pH-Puffer. Stickstoff, zum Beispiel aus Düngemitteln, verbleibt tendenziell im Boden, wodurch das Grundwasser geschützt wird.

Huminstoffe kommen in der Natur vor und werden über viele Jahre hinweg durch biologische Prozesse gebildet, wobei viele Treibhausgase freigesetzt werden. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Kompostierung. In grossen Mengen sind Huminstoffe in einem Vorläufer der Braunkohle, der Weichbraunkohle, zu finden, welche zu etwa 85 Prozent aus Huminstoffen besteht. Zahlreiche Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auf die aufwändige Gewinnung und schonende Aufbereitung von Huminstoffen spezialisiert, um sie beispielsweise für die Landwirtschaft nutzbar zu machen. Diese Ressourcen sind jedoch endlich, und Kohleabbau und -nutzung gelten als umwelt- und klimaschädlich.

«Was die Natur in Jahren mit Hilfe von Mikroorganismen schafft, können wir in Minuten bis Stunden in einem kontrollierbaren Prozess mit Hitze, Druck und Wasser erreichen.»

Dr. Nader Marzban, Post-Doktorand am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie

Das Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) setzt daher, mit Erfolg, auf ein hydrothermales Verfahren. Dr. Nader Marzban, Post-Doktorand am ATB und Experte für Biokohle und Huminstoffe, drückt es so aus: «Was die Natur in Jahren mit Hilfe von Mikroorganismen schafft, können wir in Minuten bis Stunden in einem kontrollierbaren Prozess mit Hitze, Druck und Wasser erreichen.» In der Landwirtschaft, aber auch in der Landschaftspflege oder in Privathaushalten, fallen viele organische Abfälle an. Der Forschende wies nach, dass sich viele davon ideal für die Humifizierung eignen. «In einem Hochdruckreaktor mischen wir die Biomasse mit Wasser in einem ungefähren Verhältnis von 0,1 zu 0,4. Die Faserbestandteile Cellulose, Hemicellulose und Lignin werden dann unter hohem Druck (zwischen 6 und 60 bar) und bei hoher Temperatur (zwischen 160 und 240 Grad) aufgeschlossen. Je nach pH-Wert und Temperatur im Reaktor erhalten wir entweder mehr Hydrokohle oder künstliche Huminsäure. Beides sind Feststoffe, deren Farbe von bräunlich bis schwarz reicht.»

Mikrodünger mit grosser Wirkung

Die trockene Verkohlung, auch Pyrolyse genannt, wird von Köhlern schon seit Jahrhunderten genutzt. Im Gegensatz dazu ist die hydrothermale Umwandlung, insbesondere die hydrothermale Humifizierung, noch sehr neu. Die Forschung und der Einsatz in der Praxis nehmen derzeit Fahrt auf, viele Parameter sind jedoch noch unklar. «Hier haben wir am ATB in den letzten Jahren Pionierarbeit geleistet. Nur eine Handvoll Forschungsinstitute weltweit hat sich mit dieser Art der Huminstoffproduktion eingehend beschäftigt», fährt Marzban fort, dessen Dissertation den Titel «Von der hydrothermalen Karbonisierung zur hydrothermalen Humifizierung von Biomasse: Die Rolle der Prozessbedingungen» trägt.

«Inhaltlich stellen wir – damit sind Forschende weltweit gemeint – uns folgende Fragen: Welche Biomasse-Ausgangsmaterialien lassen sich künstlich humifizieren? Welche Prozessparameter haben den grössten Einfluss auf die Produktion von Huminstoffen? Wie können wir die Eigenschaften unserer Produkte beeinflussen? Neben den Auswirkungen auf die Landwirtschaft gehen wir natürlich auch der Frage nach den Auswirkungen auf die Umwelt nach. Wie viel Kohlenstoff können wir dauerhaft im Boden speichern, wenn wir Huminstoffe hinzufügen? Und schliesslich: welchen Erfolg können wir erzielen?» Eine neue Art von Mikrodünger auf Huminstoffbasis ist einer der Ansatzpunkte der Forschenden. Ihre ersten Ergebnisse zeigten, dass die Zugabe von nur 0,01 Prozent der Humifizierungsprodukte in den Boden den Keimungsindex deutlich erhöhen und die Pflanzen bei der Aufnahme von mehr Nährstoffen, zum Beispiel Phosphor, unterstützen kann.

Besonders anschaulich ist auch ein Projekt im historischen Park Sanssouci in Potsdam: Die alten Bäume dort haben mit jahrelanger Trockenheit zu kämpfen, verlieren an Vitalität und werden anfällig für Krankheiten. Die Parkbetreiber unternehmen grosse Anstrengungen, um diese Bäume zu erhalten. Das ATB hat dort mit anderen Instituten und Akteuren versucht, eine 150 bis 160 Jahre alte Buche zu retten. Dazu wurden künstliche Huminstoffe hergestellt und in den Boden rund um den Baum eingebracht. «Die erste Behandlung erfolgte 2022, die vorläufigen Ergebnisse sind beeindruckend. Der Buche geht es im Vergleich zu unbehandelten Bäumen sehr gut. Natürlich führen wir parallel Versuche an rund 100 kleinen Bäumen durch, um die Ergebnisse zu überprüfen», erklärt Marzban.

Baum im Park Sanssouci nach der Behandlung mit künstlich hergestellten Huminstoffen. (Bild: ATB)

Mit Gärrest chemische Düngemittel ersetzen

Um die Forschung weiter voranzutreiben und das Potenzial dieser Technologie zu nutzen, arbeitet Marzban an mehreren Projektanträgen. Denn die hydrothermale Humifizierung kann auch andere Prozesse erleichtern. «Am ATB nutzen wir zum Beispiel Biokonversionsverfahren, um mit Hilfe von Mikroorganismen hochwertige Milch- und Bernsteinsäure oder den Energieträger Biogas zu erzeugen. Die Humifizierung ermöglicht es uns, Reststoffe vollständig zu verwerten.» Bei der Biogaserzeugung sind beispielsweise Kohlenhydrate schwer abbaubar und Lignin hemmt den Prozess. Unter Zuhilfenahme von künstlicher Humifizierung können bis zu 37 Prozent der Trockensubstanz von Biogasgärresten humifiziert werden. Dabei entstehen Nebenprodukte wie lösliche organische Verbindungen in der Prozessflüssigkeit. Wenn diese bei der Biogaserzeugung wieder dem anaeroben Prozess zugeführt werden, kann die Methanausbeute verdoppelt werden. Ausserdem entsteht ein humusreicher Gärrest, der als Langzeit-Biodünger chemische Düngemittel ersetzen kann.

Für Marzban liegt die Zukunftstauglichkeit dieses Verfahrens auf der Hand. «Wir schliessen Kreisläufe und ersetzen fossile Ressourcen im Sinne einer nachhaltigen und zirkulären Bioökonomie. Wenn wir sicherstellen, dass unsere Huminsäuren den natürlichen Vorkommen in Qualität und Nutzen in nichts nachstehen – und das können wir nachweisen –, haben wir ein schnelles, kontrollierbares Verfahren, das nachwachsende Rohstoffe nutzt und eine kaskadische, also mehrstufige Nutzung dieser Biomasse ermöglicht.» Gemäss dem Forscher wird die hydrothermale Humifizierung durch das integrierte Reststoffmanagement und die nachhaltige Umgestaltung der Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Bioökonomie leisten. «Durch die Integration der hydrothermalen Humifizierung in Bioraffinerien können feste und flüssige Rückstände in Huminstoffe umgewandelt werden, was die Bemühungen um eine abfallfreie Produktion vorantreibt und den Kohlenstoff im Boden bindet», fasst Marzban zusammen.

www.atb-potsdam.de

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