Der Boden aus recyklierten Jeans, die Wände und Möbel aus Pappbechern oder Kaffeesatz: Ein neues Gebäudemodul im Forschungs- und Innovationsgebäude «Nest» an der Empa in Dübendorf besteht nicht nur aus materialsparenden und energieeffizienten Bautechnologien, sondern soll das ressourcenschonende Bauen gezielt fördern und in den Markt bringen.
Die Bauindustrie muss umdenken. In der Schweiz verschlingt der Bausektor mit Abstand am meisten Rohstoffe, verursacht das grösste Abfallaufkommen und ist verantwortlich für ein Drittel aller CO2-Emissionen. Das Problem: In die bestehenden Wertschöpfungsketten sind nachhaltige Baumaterialien nur schwer einzuschleusen. Abhilfe schaffen soll Co-Creation, eine Strategie, die Innovation ankurbeln und schnellere Entwicklungszyklen ermöglichen soll.
Wichtig sei dabei, die Herausforderungen der Zukunft technologieoffen zu meistern und alternative Konzepte miteinzubeziehen. «Wir sind fest überzeugt, dass viele Technologielösungen der Zukunft im komplementären und interdisziplinären Austausch entstehen. Daher setzen wir auf die Stärke der Co-Creation und Zusammenarbeit mit externen Partnern», erklärt Alice Glättli, Leiterin Digitalization, Automation and Innovation Management in der Forschung der BASF-Gruppe.
Mit dem modularen Forschungs- und Innovationsgebäude «Nest» setzt sich die Empa gemeinsam mit 150 Partnern aus Forschung, Wirtschaft und der öffentlichen Hand seit acht Jahren dafür ein, dass neue Technologien und Materialien für ein ressourcenschonendes Bauen soweit entwickelt werden, dass sie den Sprung in den Markt schaffen.
«Nest2», das kürzlich eröffnete Gebäudemodul wirft den Fokus auf die Reduktion des Material- und Energieverbrauchs und der Förderung der Kreislaufwirtschaft. Der Anspruch: Marktfähige Lösungen zu entwickeln, die im Bauwesen eine Zukunft haben. Die Umstellung zum nachhaltigen Bauen soll beschleunigt werden, indem die Kompetenzen verschiedener Akteure von Anfang an zusammengebracht werden. Adressiert werden die Ressourcen, der Energieverbrauch, das «Sustainable Living» und die Kreislauffähigkeit von Werkstoffen.
Innovieren in inspirierender Architektur
In den neu geschaffenen Räumen sollen sich Industriepartner finden und austauschen, um neue Ideen zu besprechen oder Projekte anzugehen. Das exemplarische Setting soll dabei inspirieren: Die in den Räumen eingesetzten Materialien (und Verfahren zu deren Herstellung) haben BASF und andere Partner via Upcycling entwickelt. Aus Abfallstoffen entstanden leistungsfähige Oberflächenbeläge mit moderner Ästhetik.
Unter den über 10 Industriepartnern von Nest2 spielt das Chemie-Know-how von BASF eine bedeutende Rolle. Tatsächlich wurden einige der verbauten Materialien von diesem Chemieunternehmen entwickelt: Dank der Kombination bestehender Verarbeitungstechnologien mit neuer Bindemitteltechnologie und leistungsstarken Beschichtungen konnten «Rest-Rohstoffe» und Holzfaserplatten durch thermoplastische Verformung dreidimensional gestaltet werden. Die Wandpaneele, Möbeloberflächen und Bodenplatten wurden aus rezyklierten Denim-Fasern, gebrauchten Pappbechern und Kaffeesatz hergestellt. Die Verwendung dieser bislang ungenutzten, «erneuerbaren Materialien» reduziert nicht nur die Nachfrage nach neuen Rohstoffen, sondern auch den Ausstoss von Treibhausgasen.
Auch für die thermische und akustische Isolation des Unterbodens, einer Hohlboden-Konstruktion, wurden BASF-Materialien eingesetzt. Dafür kam zum ersten Mal ein spritzbarer, nichtbrennbarer Tonschaum zum Einsatz, der auch in der Decke für Schallisolation sorgt. Neben ihrer strukturellen Funktion übernimmt diese zusätzlich weitere Aufgabe: Integrierte, 3-D-gedruckte Boxen (gefüllt mit diesem Tonschaum) sorgen für eine angenehme Raumakustik. Olivier Enger, Senior Innovation Manager bei BASF, der seinen Arbeitsplatz fortan im Nest2 hat, ist überzeugt: «Hier sind wir an der Schwelle zwischen Forschung und Wirtschaft und können mit unserer Expertise viel für einen erfolgreichen Brückenschlag beitragen.»
Von der Nylonbekleidung zum Oberflächenfilm für Flugzeuge
BASF Schweiz entwickelt auch für andere Bereiche neue Materialien wie Additive für verbessertes Kunststoffrecycling oder neuartige Katalysatoren. Mit «Loopamid», einem Polyamid 6, das aus Textilabfällen hergestellt wird, bietet das Unternehmen zum Beispiel die weltweit erste zirkuläre Lösung für Nylonbekleidung, die vollständig auf Textilabfällen basiert. In einem Projekt mit einem Modehaus wurde eine Jacke hergestellt, bei der alle Teile, einschliesslich Stoffe, Knöpfe, Füllung, Klettverschluss und Reissverschluss aus PA 6 sind. Die Technologie toleriert alle Gewebemischungen, einschliesslich mit Elastan, und ermöglicht das Textil-zu-Textil-Recycling von Industrietextilabfällen und Altkleidern. Die Fasern und Materialien können dabei über mehrere Zyklen recycelt werden.
Ein anderes Beispiel kommt aus der Luftfahrt: Gemeinsam mit Lufthansa Technik hat BASF Schweiz einen funktionalen Film nach Vorbild der Haut von Haifischen entwickelt, auf deren Oberfläche winzige Rippen den Wasserwiderstand reduzieren. «NovaFlex SharkSkin» mit nur 50 Mikrometer grossen Rippen verringert die Reibung von Oberflächen, ist UV-beständig und widersteht auch schnell wechselnden Temperaturen und mechanischen Belastungen. Der Oberflächenfilm wurde seit 2022 unter anderem auf den Boeing 777 der Swiss aufgebracht und reduziert den Luftwiderstand um 1,1 Prozent, was jährlich rund 400 Tonnen Kerosin und etwa 1250 Tonnen CO2 pro Flugzeug einspart. Künftig soll der Rumpf noch grossflächiger damit überzogen werden, um den Luftwiderstand um insgesamt 3 Prozent zu verringern. Darüber hinaus soll der funktionale Film auch für andere Industrien weiterentwickelt werden: An Windrad-Rotorblättern soll er zu einer effizienteren Stromerzeugung führen, an Schiffsrümpfen den Treibstoffverbrauch reduzieren.
Luca Meister