Zum ersten Mal haben Forschende an der EPFL ausschliesslich Moleküle beobachtet, die an Wasserstoffbrückenbindungen in flüssigem Wasser beteiligt sind – und damit elektronische und nukleare Quanteneffekte gemessen, die bisher nur über theoretische Simulationen zugänglich waren.
Wasser ist ein Synonym für Leben, doch die dynamische, facettenreiche Wechselwirkung, die H2O-Moleküle zusammenbringt – die Wasserstoffbrückenbindung – bleibt rätselhaft. Wasserstoffbrückenbindungen entstehen, wenn Wasserstoff- und Sauerstoffatome zwischen Wassermolekülen interagieren und sich dabei die elektronische Ladung teilen. Diese Ladungsteilung ist ein Schlüsselmerkmal des dreidimensionalen H-Brückenbindungs-Netzwerks, das flüssigem Wasser seine einzigartigen Eigenschaften verleiht. Doch die Quantenphänomene, welche den Kern solcher Netzwerke bilden, wurden bisher nur durch theoretische Simulationen verstanden.
Nun haben Forschende unter der Leitung von Sylvie Roke, Leiterin des Labors für Fundamentale BioPhotonik an der EPFL, eine neue Methode – die korrelierte Schwingungsspektroskopie (CVS) – veröffentlicht. Mit dieser können sie messen, wie sich Wassermoleküle verhalten, wenn sie an H-Brückennindungs-Netzwerken beteiligt sind. Entscheidend ist, dass CVS es den Forschenden ermöglicht, zwischen solchen teilnehmenden (interagierenden) Molekülen und zufällig verteilten, nicht H-gebundenen (nicht interagierenden) Molekülen zu unterscheiden. Im Gegensatz dazu meldet jede andere Methode Messungen an beiden Molekültypen gleichzeitig, so dass es unmöglich ist, zwischen ihnen zu unterscheiden.
«Aktuelle Spektroskopiemethoden messen die Streuung von Laserlicht, die durch die Schwingungen aller Moleküle in einem System verursacht wird, sodass man raten oder annehmen muss, dass das, was man sieht, auf die molekulare Wechselwirkung zurückzuführen ist, an der man interessiert ist», erklärt Roke. «Bei CVS hat der Schwingungsmodus jedes einzelnen Molekültyps sein eigenes Schwingungsspektrum. Und da jedes Spektrum einen einzigartigen Peak hat, der den Wassermolekülen entspricht, die sich entlang der H-Brücken hin und her bewegen, können wir ihre Eigenschaften direkt messen, z. B. wie viel elektronische Ladung geteilt wird und wie die Stärke der H-Brücken beeinflusst wird.»
Die Methode, von der die Forschungsgruppe sagt, dass sie ein «transformatives» Potenzial hat, um Wechselwirkungen in jedem Material zu charakterisieren, wurde in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
Die Dinge aus einem neuen Blickwinkel betrachten
Um zwischen wechselwirkenden und nicht-wechselwirkenden Molekülen zu unterscheiden, beleuchteten die Wissenschaftler flüssiges Wasser mit Femtosekunden-Laserpulsen (eine Billiardstel Sekunde) im nahen Infrarotspektrum. Diese ultrakurzen Lichtblitze erzeugen winzige Ladungsschwingungen und atomare Verschiebungen im Wasser, welche die Emission von sichtbarem Licht auslösen. Dieses emittierte Licht erscheint in einem Streumuster, das wichtige Informationen über die räumliche Organisation der Moleküle enthält, während die Farbe der Photonen Informationen über atomare Verschiebungen innerhalb und zwischen Molekülen enthält.
«Typische Experimente platzieren den spektrographischen Detektor in einem 90-Grad-Winkel zum einfallenden Laserstrahl, aber wir stellten fest, dass wir wechselwirkende Moleküle untersuchen können, indem wir einfach die Detektorposition ändern und Spektren mit bestimmten Kombinationen von polarisiertem Licht aufzeichnen. Auf diese Weise können wir getrennte Spektren für nicht-wechselwirkende und wechselwirkende Moleküle erstellen», sagt Roke.
Das Team führte weitere Experimente durch, die darauf abzielten, CVS zu nutzen, um die elektronischen und nuklearen Quanteneffekte von H-Brückenbindungs-Netzwerken auseinanderzukitzeln, zum Beispiel durch Veränderung des pH-Werts von Wasser durch die Zugabe von Hydroxidionen (wodurch es basischer wird) oder Protonen (wodurch es saurer wird).
«Hydroxidionen und Protonen sind an der H-Brückenbindung beteiligt, sodass die Änderung des pH-Werts von Wasser seine Reaktivität verändert», sagt Doktorand Mischa Flór, Erstautor der Arbeit. «Mit CVS können wir genau quantifizieren, wie viel zusätzliche Ladung Hydroxid-Ionen an H-Brückenbindungs-Netzwerke abgeben (8 %) und wie viel Ladung Protonen daraus aufnehmen (4 %) – präzise Messungen, die zuvor noch nie experimentell hätten durchgeführt werden können.» Diese Werte wurden mit Hilfe fortschrittlicher Simulationen erklärt, die von Mitarbeitenden in Frankreich, Italien und Grossbritannien durchgeführt wurden.
Die Forschenden betonen, dass die Methode, die sie auch durch theoretische Berechnungen bestätigt haben, auf jedes Material angewendet werden kann. Tatsächlich sind bereits mehrere neue Charakterisierungsexperimente im Gang.
«Die Möglichkeit, die Stärke der H-Brückenbindung direkt zu quantifizieren, ist eine leistungsstarke Methode, mit der Details jeder Lösung auf molekularer Ebene geklärt werden können, zum Beispiel wenn sie Elektrolyte, Zucker, Aminosäuren, DNA oder Proteine enthält», sagt Roke. «Da CVS nicht auf Wasser beschränkt ist, kann es auch eine Fülle von Informationen über andere Flüssigkeiten, Systeme und Prozesse liefern.»
Celia Luterbacher, EPFL
Übersetzung aus dem Französischen: ChemieXtra