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Druck das Herz mal aus – dann schauen wir

Die additive Fertigung macht in der Technik komplexe Formen zugänglich. In der Medizin verwendet man den Druck dreidimensionaler Strukturen zum schichtweisen Aufbau von Knochenimplantaten und Zahnkronen. Bei Weichgeweben kommt als spezielle Herausforderung die Formstabilität hinzu, doch selbst ganze Organe werden mit Unterstützung durch die additive Fertigung zugänglich.
Verschiedene Forschungsgruppen sind auf dem Weg dorthin: ein ganzes Organ, zum Beispiel ein Herz, einfach ausdrucken. (Bild: Adpic)

Die additive Fertigung macht in der Technik komplexe Formen zugänglich. In der Medizin verwendet man den Druck dreidimensionaler Strukturen zum schichtweisen Aufbau von Knochenimplantaten und Zahnkronen. Bei Weichgeweben kommt als spezielle Herausforderung die Formstabilität hinzu, doch selbst ganze Organe werden mit Unterstützung durch die additive Fertigung zugänglich.

Beim Versuch, ein Stück Haut, einen Herzmuskel, Lungenbläschen oder ein anderes Organ im Labor wachsen zu lassen, besteht die Gefahr, am Ende einen Zellklumpen zu erhalten. Die Zellen haben sich wie gewünscht differenziert, aber ihnen fehlt die Struktur. Bei der Überwindung dieser Schwierigkeit helfen Verfahren der additiven Fertigung («3-D-Druck»).

Gedruckte Stützstruktur für Zellen

Im lebenden Organismus gibt den Zellen ein Netzwerk von Proteinen einen festen Halt. Eine solche extrazelluläre Matrix lässt sich aber auch künstlich herstellen – mit einem 3-D-Drucker [1]. Amelie Erben hat es kürzlich am Beispiel von Lungengewebe gezeigt, wobei sich die Kultivierung von Lungenbläschen sogar als eine besondere Herausforderung erwies. Denn weil diese von einer extrem dünnen extrazellulären Matrix gebildet werden, durch die der Sauerstoff an den Blutkreislauf abgegeben wird, muss die umgebende Proteinstruktur besonders präzise aufgebaut sein.

Die Forscherin des Centrums für Angewandtes Tissue Engineering und Regenerative Medizin der Hochschule München und des Heinz Nixdorf Lehrstuhls für Biomedizinische Elektronik der Technischen Universität München nutzte für den Druck der nur wenige Mikrometer dünnen 3-D-Struktur die sogenannte Zwei-Photonen-Stereolithographie. Bei diesem Verfahren werden Proteine an bestimmten Punkten miteinander zu Ketten verschweisst, Schicht für Schicht. Erste Experimente haben offenbar gezeigt: Die Zellen lassen sich in dieser gedruckten Umgebung tatsächlich gut vermehren und weisen Eigenschaften auf, die denen von natürlichem Lungengewebe ähnlich sind.

Im nächsten Schritt sollen nun Gefässe zur Versorgung des gezüchteten Gewebes ergänzt werden. Durch eine gedruckte dreidimensionale Proteinstruktur mit einem 80 Mikrometer dünnen Kanal soll dann die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen simuliert werden.

Muskelgewebedruck aus Hydrogel und Fasern

Aussichtsreiche Materialien für die Gerüste sind Hydrogele, wasserhaltige und gleichzeitig wasserunlösliche Polymere. Sie geben Zellen nicht nur mechanischen Halt, sondern spenden ihnen auch lebensnotwendiges Wasser. Ein Hydrogel, das neben Wasser auch Zellen enthält, wird als Bio-Tinte bezeichnet und finden seit Jahrzehnten breite Anwendung in der Gewebezucht («Tissue Engineering»), der künstlichen Herstellung biologischer Gewebe.

Zellkultivierung im Labor der Hochschule München. (Bild: Alexander Ratzing)

Bio-Tinte lässt sich vorteilhafterweise zu dreidimensionalen Strukturen drucken. In Kombination mit dem sogenannten Touch-Spinning-Verfahren, mit dem sich Fasern aus einer Polymerlösung gewinnen lassen, entsteht ein Hydrogel-Faser-Verbundwerkstoff. Beide Verfahren – der Bio-Tinten-Druck und das Touch-Spinning – lassen sich jetzt in einem einzigen Gerät vereinen [2]. Dieses produziert Zellen in der Art von Binde- oder Muskelgewebe. Die Fasern weisen dabei eine Vorzugsrichtung; entlang dieser wachsen die Zellen.

Knorpelgewebe wächst in Drei-Millimeter-Fussbällen

Wie weit das Tissue Engineering bereits fortgeschritten ist, erkennt man am Stand der Technik im Bereich der Gewinnung von Knorpelzellen aus Stammzellen. Dies gilt als Königsdisziplin, weil sich hier besonders gern unförmige Zellklumpen bilden und anschliessend auch noch schrumpfen. Für eine definierte Geometrie, für gleichmässig verteilte Zellen und für eine hohe Zelldichte sorgen jetzt Stützstrukturen aus «Käfigen» oder «Fussbällen» mit einem Durchmesser von einem Drittelmillimeter. Sie lassen sich zu beliebigen Formen aneinanderfügen wie Bausteine.

In diese fussballförmigen Käfige werden zunächst Stammzellen eingebracht, die sich schon in Richtung Knorpelzellen differenziert haben. Sie füllen das winzige Volumen rasch vollständig aus. Die Zellen in unterschiedlichen Mini-Fussbällen verwachsen nach einiger Zeit, wandern mitunter auch von einem Fussball in einen anderen und ergeben schliesslich eine geschlossene Gesamtstruktur ohne Hohlräume.

Die gedruckten Stützelemente aus Kunststoff bauen sich selbstständig ab und verschwinden über einen Zeitraum von Monaten nach und nach; es bleibt das fertig geformte Gewebe in der gewünschten Form. Das Nahziel besteht nun darin, kleine massgeschneiderte Knorpelgewebsteile zu produzieren und nach einer Verletzung in bestehendes Knorpelmaterial einzusetzen. Ein Fernziel sehen die Forscher in der Herstellung auch von anderen Geweben – inklusive Blutgefässen [3].

Hunde-Vollhaut-Äquivalent im Labor statt Tierversuch

Auch die Haut ist ein Organ, ein sehr grosse sogar. So beeindruckt die erstmalige Herstellung einer reproduzierbaren In-vitro-Hundehaut im Labor unter der Projektbezeichnung «WowWowSkin» [4]. Das Vollhaut-Äquivalent haben Forscher auf der Basis von echter Hundehaut entwickelt. Sie mussten dazu zunächst die unterschiedlichen Hautschichten voneinander trennen, die Zellen separat vermehren und am Ende wieder zusammenfügen.

Hunde bekommen häufig Hautprobleme – da hat das Vollhaut-Äquivalent für Labortests seine volle Berechtigung. (Bild: Envato)

An solchen Vollhaut-Äquivalenten lässt sich nun die Wirkung medizinischer Therapeutika für die empfindliche Hundehaut präzise testen. Auch Pflegemittel wie Shampoo oder Fellseife lassen sich damit auf Verträglichkeit untersuchen – ganz ohne Tierversuche.

Auch das künstliche Lungengewebe aus München ist für Test-Zwecke gedacht: Im nächsten Schritt wird die Forschergruppe die Reaktionen der Zellen auf verschiedene Reize erforschen und die Gerüststruktur weiter an das natürliche Vorbild annähern. In einer ähnlichen Phase befindet sich das gedruckte Bindegewebe bzw. die Muskelfasern.

Literatur

1. Amelie Erben, Marcel Hörning, Bastian Hartmann, Tanja Becke, Stephan A. Eisler, Alexander Southan, Séverine Cranz, Oliver Hayden, Nikolaus Kneidinger, Melanie Königshoff, Michael Lindner, Günter E. M. Tovar, Gerald Burgstaller, Hauke Clausen-Schaumann, Stefanie Sudhop, and Michael Heymann (2020), Precision 3D-Printed Cell Scaffolds Mimicking Native Tissue Composition and Mechanics, Adv. Healthcare Mater., DOI: 10.1002/adhm.202000918

2. W. Kitana, V. Levario-Diaz, E. A. Cavalcanti-Adam, L. Ionov, Biofabrication of Composite Bioink-Nanofiber Constructs: Effect of Rheological Properties of Bioinks on 3D (Bio)Printing and Cells Interaction with Aligned Touch Spun Nanofibers. Adv. Healthcare Mater. 2023, 2303343. DOI: 10.1002/adhm.202303343

3. O. Kopinski-Grünwald et al., Scaffolded spheroids as building blocks for bottom-up cartilage tissue engineering show enhanced bioassembly dynamics, Acta Biomaterialia, 174, 163 (2024)

4. Pressemeldung Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB vom 1.2.2024


Der Knorpel aus differenzierten Stammzellen dagegen ist bereits näher an einer medizinischen Anwendung. So befinden sich die unterschiedlichen Verfahren zur Gewebezucht und die damit herstellbaren Zellgewebe in sehr unterschiedlichen Stadien – ein dynamisches Forschungsfeld mit immer neuen Chancen für Heilung in konkreten klinischen Fällen.

Dr. Christian Ehrensberger

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