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Dieses Protein entscheidet über die Intelligenz

Die kognitive Leistung spielt sich in Grosshirnrinde und Hippocampus ab. Spezielle Nervenzellen in diesen Hirnregionen enthalten das Protein SATB2. Fehlt es, verändert sich der Aufbau der 3-D-Struktur der Erbinformation und damit die Denkfähigkeit. Forschende an der Medizinischen Universität Innsbruck ist es gelungen, die 3-D-Struktur der DNA mit und ohne SATB2 darzustellen.
3-D-Modelle zeigen die Auffaltung der DNA in Nervenzellen mit SATB2 (links) und ohne SATB2 (rechts), Chromosom 4 in Blau und Chromosom 14 in Grün. (Grafik: MUI)

Die kognitive Leistung spielt sich in Grosshirnrinde und Hippocampus ab. Spezielle Nervenzellen in diesen Hirnregionen enthalten das Protein SATB2. Fehlt es, verändert sich der Aufbau der 3-D-Struktur der Erbinformation und damit die Denkfähigkeit. Forschende an der Medizinischen Universität Innsbruck ist es gelungen, die 3-D-Struktur der DNA mit und ohne SATB2 darzustellen.

Bei vielen neuropsychiatrischen Erkrankungen, wie Demenz oder auch Schizophrenie, sind die kognitiven Prozesse und damit die Lern- und Gedächtnisleistung des Gehirns beeinträchtigt. Das Team des Instituts für Neurowissenschaften um Direktor Georg Dechant geht dieser Symptomatik seit vielen Jahren auf den Grund, indem es die Rolle des Proteins SATB2 ins Visier nimmt. In einer Arbeit, die in der Fachzeitschrift Molecular Cell erschienen ist, konnten die Innsbrucker in Zusammenarbeit mit Kollegen in Irland und den USA nachweisen, dass das Vorhandensein von SATB2 im Zellkern bestimmter Neuronen der Grosshirnrinde den spezifischen 3-D-Aufbau der DNA dieser Nervenzellen grundlegend beeinflusst und organisiert. Fehlt das Protein, gerät die für kognitive Leistungen notwendige Ordnung in der Erbsubstanz durcheinander.

SATB2 dirigiert 3-D-Aufbau der DNA-Struktur

Die aufgerollte DNA in jeder einzelnen Zelle ist zwei Meter lang, der Zellkern aber nur bis zu 20 Mikrometer im Durchmesser. Um in den Zellkern zu passen, muss daher die Erbinformation in eine komplexe Struktur gefaltet werden. Die genaue Anordnung der DNA ist für jeden Zelltyp verschieden, sodass jedes für die Funktion der Zelle wichtige Gen genau positioniert ist und angeschaltet werden kann, wann immer es von der Zelle gebraucht wird. «SATB2 bindet an die DNA und hat somit direkten Einfluss auf die Genaktivität», erklärt Nico Wahl, Erstautor der Publikation. Nach langjähriger Arbeit konnten die Forschenden zeigen, dass das SATB2-Protein als «Genome Organizer» den spezifischen 3-D-Aufbau der DNA-Struktur dirigiert und direkten Einfluss auf die Aktivität von Hunderten für die Intelligenz verantwortlicher Gene hat. «Diese für die Kognition relevanten Gene sind über das gesamte Genom verteilt, müssen beim Denken aber häufig gemeinsam abgelesen und gemeinsam reguliert werden», sagt Georg Dechant, der sich mit Galina Apostolova die Letztautorschaft an der Publikation teilt.

Im Labor: Erstautor Nico Wahl arbeitet an neuronalen Zellkulturen. (Bild: MUI, F. Einkemmer)

In einem «extrem komplizierten Projekt», wie Dechant sagt, hat sein Team gezeigt, dass die 3-D-Anordnung der für die Intelligenz wichtigen Gene verändert wird, wenn das SATB2-Gen entfernt wird. «Das SATB2-Gen ist im Menschen für die kognitive Leistungsfähigkeit von enormer Bedeutung.  Bei einer Mutation des SATB2-Gens sinkt der Intelligenzquotient auf weniger als 40», betont Galina Apostolova. Den Forschenden ist es im Zuge des Projekts insbesondere gelungen nachzuweisen, dass SATB2 die 3-D-Struktur von DNA-Risiko-Loci verändert, also jener Genregionen, deren Sequenz mit dem Risiko für neuropsychiatrischen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird. «Es war eine Überraschung, dass SATB2 spezifisch diese Risiko-Loci beeinflusst. Wir vermuten daher, dass neuropsychiatrische Erkrankungen durch die ungeeignete 3-D-Struktur der DNA verstärkt oder verursacht werden», interpretiert Dechant das Ergebnis.

Perspektivenwechsel in der psychiatrischen Wirkstoffforschung

Für den Institutsdirektor ist die Publikation ein weiterer Beitrag zu einem Perspektivenwechsel, der sich derzeit in der psychiatrischen Wirkstoffforschung vollziehe. Dabei rücke der Zellkern als Angriffspunkt für medikamentöse Therapien zunehmend in den Fokus. «Ich bin überzeugt, dass wir künftig nicht mehr nur auf Neurotransmitter und Synapsen schauen werden», sagt er.

Für die Untersuchungen haben die Forschenden enorme Datensätze – vier Terabyte Rohdaten aus «Next Generation Sequencing» – aus einem Tiermodell gewonnen, ausgewertet und auf ein humanes Modell übertragen. «SATB2 von Mensch und Maus ist nahezu identisch und unterscheidet sich lediglich in drei Aminosäuren. Da sich Nervenzellen nicht replizieren lassen, ist es bisher fast unmöglich, mit lebenden humanen Nervenzellen zu forschen», schildert Nico Wahl die Problematik.

www.i-med.ac.at

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