Ende März dieses Jahres wurde das erste serienmässige Elektronendiffraktometer in Basel-Allschwil der Presse präsentiert. Das Analysegerät schliesst eine wichtige Lücke: Dank ihm kann die exakte Struktur zahlreicher potenzieller Wirkstoffe erst bestimmt werden. Bis heute stehen Millionen solcher Substanzen in den Laboren der Pharmaunternehmen und warten vergeblich auf ihren Einsatz.
Das erste Abbild der DNA nahm die britische Biochemikerin Rosalind Franklin auf. Sie bestrahlte das Molekül mit Röntgenstrahlen. Dank der Wissenschaftlerin wissen wir heute, wie unser Erbgut aussieht. Sichtbarmachen konnte sie dieses Biomolekül nur mithilfe der Röntgenstrukturanalyse. Dieser Technik der Röntgenbeugung verdanken wir seither vieles. Unzählige Verbindungen konnten entschlüsselt werden. Heute gehört sie zur Standardanalyse schlechthin.
Doch wie jede Analysemethode hat auch sie ihre Grenzen. Und genau hier setzt die Elektronenbeugung an. Sie misst das, was die Röntgenbeugung technisch nicht erfassen kann.
Die Grenzen der Röntgenbeugung
Für eine erfolgreiche Röntgenstrukturanalyse braucht der Analytiker ausreichend grosse Kristalle von hoher Qualität. Nur diese Proben können gemessen werden. Ist es nicht möglich, einen Kristall von mindestens 5 bis 10 Mikrometer heranzuzüchten, bleibt die räumliche Struktur des Moleküls im Verborgenen. In der Pharmaindustrie sind rund zwei Millionen bereits synthetisierte Verbindungen von diesem Schicksal betroffen. Ohne die Kenntnis der genauen räumlichen Struktur bleibt die Forschung stehen. Potenzielle Wirkstoffe liegen sozusagen brach.
Elektronen statt Röntgenstrahlen
«Seit ihrer Entdeckung hat die Elektronenbeugung mit Vorurteilen zu kämpfen», sagt Nils Gebhardt, Mitbegründer und Finanzchef des Schweizer Unternehmens Eldico Scientific. So liegt der sogenannte R-Wert (R-Value), der ein Mass für die Übereinstimmung der Messresultate mit den berechneten Modellen darstellt, bei Elektronenstrahlen leicht höher als bei Röntgenstrahlen. «Wir erreichen momentan einen R-Wert von unter 10 Prozent. Für wissenschaftliche Publikationen sind 10 Prozent ein Muss», sagt Gebhardt selbstkritisch.
Doch obschon dieser Wert bei Elektronenstrahlen nicht ganz den Bereich von Röntgendiffraktometern erreicht hat, ist der Vorteil dieser Technik mit Elektronen gegenüber Röntgenstrahlen offensichtlich. Er liegt schlicht darin, dass ein Elektronendiffraktometer diejenige Analyten zu charakterisieren vermag, die den Röntgenstrahlen aufgrund ihrer Beschaffenheit verborgen bleiben – R-Wert hin oder her.
Eine andere Messmethode, die sich ebenfalls der Schlagkraft der Elektronen bedient, ist die Analyse mit einem Elektronenmikroskop. Sie ist jedoch enorm aufwendig und benötigt fundierte praktische Erfahrung. Gegenüber einem Elektronenmikroskop weist das Elektronendiffraktometer vor allem praktische Vorteile auf, die den Forschungsalltag erleichtern. «Unser Gerät braucht viel weniger Deckenhöhe als ein Elektronenmikroskop», betont Mitbegründer von Eldico und Verkaufschef Eric Hovestreydt. Das Analysegerät samt Arbeitsplatz für die Probenvorbereitung lässt sich problemlos in ein kleines Zimmer von ungefähr 10 Quadratmetern einquartieren. Zudem können dank der einfacheren Handhabung deutlich mehr Proben gemessen werden. «Zurzeit schaffen wir vier Messungen pro Tag. Wir arbeiten daran, bald acht Messungen pro Tag durchführen zu können», so Hovestreydt.
Beispiel Paracetamol: So wird gemessen
Das neue Elektronendiffraktometer ED-1 von Eldico (Bild 1) verfügt über eine Elektronenquelle des gleichen Prinzips wie bei einem Elektronenmikroskop. Sie wurde allerdings für ihre Zwecke stark vereinfacht. Die Probe liegt in einem Probenhalter im Goniometer (Prinzip der Röntgenkristallographie). Das Resultat wird von einem Kristallographen ausgewertet.
Die Probevorbereitung und das Messverfahren selbst sind denkbar einfach. Misst der Analytiker beispielsweise Paracetamol, muss er die pulverisierte Probe auf ein 3 mm grosses Kupfergitter, dem Grid, auftragen. Das dünne Scheibchen befestigt er anschliessend an einem dafür vorgesehenen Halter (Bild 2). Die ganze Vorrichtung schiebt er dann in das Messgerät. Ein Mausklick am Computer genügt und schon läuft der erste Messvorgang: Das Gerät nimmt ein grosszügiges Bild der Probe auf (wie bei einem Elektronenmikroskop). Der Analytiker sucht sich anschliessend einen idealen Kristall in der Probe heraus, der nicht zu nahe an anderen Kristallen liegt, damit diese das Resultat nicht verfälschen (Bild 3).
Nun beginnt der zweite, eigentliche Messvorgang: Zahlreiche Bilder werden aufgenommen. Bis zu 140° wird die Probe gedreht und pro Grad wird ein Bild geschossen. Ein Beugungsmuster entsteht (Bild 4). Die Bilder, die entstehten, sind im Wesentlichen konstruktive Interferenzen. Die zahlreichen Beugungsmusterabbildungen werden zusammengelegt und mit Modelldaten verglichen. Daraus wird dann die Struktur abgeleitet. Die Messung dieses Beispiels des Paracetamol dauert rund zwei Minuten.
Roche misst bereits
Das erste serienmässige Elektronendiffraktometer der Welt steht seit einiger Zeit in Basel-Allschwil und wurde offiziell Ende März dieses Jahres der Öffentlichkeit präsentiert. Weitere Messgeräte wird Eldico Scientific bald unter anderem in Stockholm und in Mainz installieren. Internationale Pharmafirmen, wie in Basel die Roche, lassen sich bereits Proben am Elektronendiffraktometer in Basel messen. Zu den ersten Stammkunden zählen neben Roche Idorsia, Boehringer-Ingelheim und das Swiss Nanoscience Institut (SNI). Vermutlich wird bald auch Novartis folgen. Denn mit dem Unternehmen sei man derzeit noch im Gespräch, sagt Hovestreydt.