Die Milz ist bislang im Kontext von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor allem als Immunorgan beschrieben, das zur anhaltenden Entzündung nach einem Herzinfarkt und der Entwicklung einer Herzschwäche beiträgt. Jetzt wurde nachgewiesen, dass das Organ – nach Aktivierung durch den Vagusnerv – massgeblich daran beteiligt ist, das Herz vor Schäden zu bewahren, die durch eine Minderdurchblutung der Herzkranzgefässe im Rahmen eines Herzinfarkts entstehen.
In Untersuchungen an Tiermodellen haben die Forschenden entdeckt, dass die Aktivierung des Vagusnervs die Milz dazu anregt, schützende Faktoren freizusetzen, die das Herz vor Schäden durch Mangeldurchblutung bewahren können. Der Vagusnerv ist ein wichtiger Bestandteil des parasympathischen Nervensystems und verläuft vom Gehirn bis zum Magen-Darm-Trakt. Setzt man peripheres Gewebe (Arm, Bein usw.) kurzzeitig einer Mangeldurchblutung aus (eine Methode namens «Remote Ischaemic Conditioning», kurz: RIC), wird der Vagusnerv aktiviert, der dann wiederum die Milz stimuliert, herzschützende Faktoren in das Blut freizusetzen, welche die Grösse eines Infarkts deutlich reduzieren. Diesen komplexen Mechanismus haben die Forschenden bereits 2018 erfolgreich in Studien an Ratten und Schweinen demonstriert.
Verwandelt Vagusnerv-Signal
Die Übertragung dieser Erkenntnisse auf den Menschen gelang 2024 durch eine Studie an Freiwilligen – Probanden mit intakter Milz im Vergleich zu Probanden, denen die Milz aufgrund eines Traumas entfernt worden war. Nur bei Probanden mit intakter Milz wurden durch eine Aktivierung des Vagusnervs herzschützende Substanzen in das Blut freigesetzt. Die Vagusaktivierung wurde durch RIC oder eine elektrische Stimulation des Tragus erzielt. Der Tragus ist ein Bereich am Aussenohr, der mit dem Vagusnerv verbunden ist und für die transkutane Vagusnervstimulation (tVNS) verwendet werden kann. Im Blutplasma der Probanden mit intakter Milz – aber nicht bei denen ohne Milz – waren dann jeweils nach RIC oder tVNS herzschützende Substanzen enthalten, die isolierte Rattenherzen vor einem Herzinfarkt schützen konnten.
«Wir konnten also auch im Menschen beobachten, wie sich der Effekt der herzfernen Schutzmanöver (RIC und tVNS) systemisch entfaltet, ausgehend von einem Reiz an einem ganz anderen Ort des Körpers», sagt Prof. Kleinbongard. «Die Milz übernimmt dabei eine Art Vermittlerrolle: Sie verwandelt das Signal aus dem Vagusnerv in eine messbare Freisetzung schützender Faktoren um.»
Vagusnerv-Stimulation
Die Vagusnerv-Stimulation (VNS) wird zur Linderung von Symptomen und der Verbesserung von Lebensqualität bei schwer behandelbaren Erkrankungen eingesetzt. Die Methode kann invasiv mittels implantiertem Stimulator oder nicht-invasiv über die transkutane Stimulation (z.B. am Ohr) angewendet werden bei therapieresistenter Epilepsie, therapieresistenten Depressionen, Migräne oder chronischen Schmerzen wie Rückenschmerzen oder postoperative Schmerzen. Darüber hinaus wird die VNS aktuell in Studien unter anderem für folgende weitere Erkrankungen erforscht: Angststörungen, Autismus, schizophrene Psychosen, Tinnitus, entzündliche Erkrankungen, Schlaganfall-Rehabilitation oder neurodegenerative Erkrankungen.
ChemieXtra
Die Bedeutung dieser Entdeckungen wird durch eine kürzlich erschienene, umfassende Übersichtsarbeit in der Fachzeitschrift Nature Reviews Cardiology unterstrichen. Darin beschreiben Prof. Dr. Petra Kleinbongard und Prof. Dr. Dr. hc. Dr. hc. Gerd Heusch die Milz als Schaltzentrum, das nicht nur immunologische Funktionen erfüllt, sondern auch eng mit dem autonomen Nervensystem und dem Herz-Kreislauf-System verknüpft ist.
«Unsere Forschung zeigt, dass die Milz eine deutlich komplexere Rolle in der Interaktion mit dem Herz-Kreislaufsystem spielt. Sie ist in der Lage das Herz vor einem Infarkt aktiv zu schützen, möglicherweise auch das Gehirn vor einem Schlaganfall», erklärt Prof. Dr. Kleinbongard. «Unsere Daten sprechen dafür, dass wir therapeutisch ganz neue Wege beschreiten könnten, beispielsweise durch eine gezielte Stimulation des Vagusnervs oder durch Medikamente, welche die milzvermittelten Schutzpfade aktivieren.»