Offizielles Organ des Schweizerischen
Chemie- und Pharmaberufe Verbandes

MEDIADATEN

Suche
Close this search box.

Ein Ökosystem im Wandel

Forschende aus drei Ländern haben seit 2018 untersucht, wie der Bodensee auf Nährstoffveränderungen, invasive Arten und den Klimawandel reagiert. Die Resultate zeigen, dass diese Stressfaktoren das Ökosystem stark beeinflussen.
Klimawandel und invasiven Arten: Das Ökosystem des Bodensees wird sich in Zukunft stärker verändern. (Bild: Wolfgang Vogt, Pixabay)

Forschende aus drei Ländern haben während über fünf Jahren untersucht, wie der Bodensee auf Nährstoffveränderungen, invasive Arten und den Klimawandel reagiert. Die Resultate zeigen, dass diese Stressfaktoren das Ökosystem stark beeinflussen.

Im Projekt «Seewandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen» haben Forschende von sieben Institutionen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich in den letzten fünfeinhalb Jahren das Ökosystem Bodensee unter die Lupe genommen. Unter der Leitung des Wasserforschungsinstituts Eawag untersuchten sie, wie verschiedene Wasserorganismen auf die wechselnden Umweltbedingungen in den letzten Jahrzehnten reagiert haben, und welche Folgen in jüngster Zeit im See zu beobachten sind. Der Fokus lag dabei auf den komplexen Wechselwirkungen zwischen invasiven und einheimischen Arten, veränderten Nährstoffeinträgen sowie Klimaänderungen.

Aus der Invasion der Quaggamuschel lernen

Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist laut Projektleiter Piet Spaak von der Eawag, dass «das Ökosystem viel komplexer ist, als sich alle Projektbeteiligten anfangs vorgestellt haben.» Die Bodenseefischer hatten gefordert, dem See Phosphor zuzuführen, damit sie wieder grössere Fische fangen. «Jetzt verstehen wir, dass es auch invasive Arten im See gibt, die das ganze System durcheinanderbringen, und dazu beitragen, dass weniger Fische gefangen werden», erklärt Spaak.

Zwei dieser invasiven Arten wurden genauer unter die Lupe genommen: Die Quaggamuschel und den Dreistachligen Stichling. Die ursprünglich aus dem Schwarzmeerraum stammende Quaggamuschel wurde 2016 erstmals im Bodensee nachgewiesen. Zu Projektbeginn kam sie nur vereinzelt vor, mittlerweile besiedelt sie den See bis in grosse Tiefen. «Weil die Muscheln überall wachsen können, verstopfen sie zum Beispiel die Ansaugrohre von Wassergewinnungsanlagen. Und da sie sich von Algen ernähren, die sie aus dem Wasser filtern, verringern sie die Produktivität des Sees. Als Folge davon dürften die Fischfänge weiter zurückgehen», fährt Spaak fort. Die Erkenntnisse aus der Quaggamuschelinvasion haben die Forschenden in einem Merkblatt zusammengefasst und publik gemacht, sodass eine ähnliche Entwicklung in anderen Seen zwar nicht verhindert, aber zumindest verzögert werden kann.

Die Quaggamuschel fühlt sich im Wasser auf fast allen Oberflächen wohl: hier auf Trägern der Seebühne Bregenz. (Bild: Thomas Blank, Abteilung Wasserwirtschaft Vorarlberg)

Stichling als potenzieller Konkurrent für Felchen

Dass sich der Stichling im Freiwasser des Bodensees seit einigen Jahren explosionsartig verbreitet und bis zu 90 Prozent der Fischindividuen ausmacht, war schon zuvor bekannt. Mit Genanalysen hatten die Forschenden auch nachweisen können, dass das Erbgut der Bodenseestichlinge aus drei Linien stammt: Aus dem Rhein, aus der Rhone und – im Gegensatz zur übrigen Schweiz – vor allem aus der Ostseeregion. Die Bodenseestichlinge haben es seit fast zehn Jahren geschafft, neben den Zuflüssen und Uferzonen auch das Freiwasser zu besiedeln. Da sie dort die gleichen Planktonarten fressen wie die Bodenseefelchen, machen sie diesen unter Umständen die Nahrung streitig, was vermutlich auch zum Rückgang der Felchendichte beigetragen hat.

Ein erfreulicheres Ergebnis lieferte das Teilprojekt zur Burgunderblutalge. Die durch den Klimawandel erhöhten Wassertemperaturen haben zum Beispiel im Zürichsee dazu geführt, dass das für Mensch und Tier giftige Cyanobakterium zum Teil massenhaft auftritt. Im Bodensee hingegen gilt eine solche Algenplage in nächster Zeit als unwahrscheinlich. Trotz der in vielen Jahren schwachen Durchmischung der Wassermengen im Bodensee reichte sie immer noch bis in eine Wassertiefe von über 100 Meter. Der dort herrschende Wasserdruck zerstört die Gasvesikel der Burgunderblutalge und dezimiert die Population erheblich. Eine kurzfristige Massenentwicklung ist nicht auszuschliessen, doch aufgrund der grösseren Tiefe des Bodensees ist es unwahrscheinlich, dass sich die Burgunderblutalge als Dauerzustand wie im Zürichsee entwickelt.

So unterschiedlich können Stichlinge im Bodensee sein. Beides sind adulte Weibchen. Oben eines aus dem freien Wasser im See, unten eines aus einem kleinen Zufluss. (Bild: Eawag, Cameron Hudson)

Invasion weiterer fremder Arten verhindern

Ebenso erfreulich ist, dass sich einige Organismengruppen als erstaunlich widerstandsfähig gegenüber den Umweltveränderungen im Bodensee erwiesen haben. So konnten die Forschenden anhand von Sedimentkernen zeigen, dass in der Zeit der Überdüngung zwar neue, an nährstoffreiche Bedingungen angepasste Kieselalgenarten auftraten. Nach den Sanierungsmassnahmen zur Eindämmung der Nährstoffgehalte (Re-Oligotrophierung) kehrte sich diese Entwicklung jedoch um, sodass im heutigen Bodensee wieder Arten dominieren, die an nährstoffarme Bedingungen angepasst sind. Eine ähnliche Tendenz ist auch bei den Wasserpflanzen zu beobachten: Bewuchs und Ausdehnung in der Uferzone haben nach der Re-Oligotrophierung wieder deutlich zugenommen, auch wenn sich die Artenzusammensetzung und Häufigkeit etwas verändert haben.

Piet Spaak befürchtet jedoch, dass diese Erholung nur von kurzer Dauer sein wird: «Ich gehe davon aus, dass sich das Ökosystem Bodensee infolge Klimawandel und invasiven Arten wie Quaggamuschel und Stichling in Zukunft stärker verändern wird, als dies in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Als Gegenmassnahme empfehlen wir, die Einschleppung weiterer gebietsfremder Arten zu verhindern».

https://seewandel.org

Das könnte Sie auch interessieren:

Newsletter abonnieren

Login