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Die fehlerhaften Baupläne der Zelle

Der ausgeklügelte Prozess von der DNA bis zur fixfertigen mRNA birgt naturgemäss ein Fehlerrisiko. (Bild: Shutterstock)

Zellen haben eine eigene Qualitätskontrolle. Damit können sie die Produktion und Anhäufung schädlicher Proteine verhindern. Diese Qualitätskontrolle ist essenziell für die korrekte Embryonalentwicklung in allen Säugetieren. Eine Gruppe von Forschenden der Universität Bern und der Universität Basel hat nun «Baupläne», die zu fehlerhaften Proteinen führen und normalerweise in den Zellen erkannt und abgebaut werden, sichtbar gemacht und katalogisiert.

Wenn Produkte eine Fabrik verlassen, müssen sie zuvor noch Qualitätskontrollen durchlaufen. In ähnlicher Weise gibt es bei der Expression unserer Gene mehrere solcher Qualitätskontrollen, die sicherstellen, dass die Endprodukte, die hergestellten Proteine, keine Fehler enthalten und funktionsfähig sind.

In einer neuen Studie haben Professor Oliver MĂĽhlemann und sein Team an der Universität Bern in Zusammenarbeit mit Forschenden aus dem Biozentrum in Basel neue Erkenntnisse ĂĽber einen Qualitätskontrollmechanismus gewonnen, der fehlerhafte Genprodukte aus den Zellen entfernt und so die fehlerfreie Expression unserer Gene gewährleistet. Diese Studie wurde nun in der Fachzeitschrift Â«Genome Biology» veröffentlicht.

Dr. Evangelos Karousis und Prof. Dr. Oliver Mühlemann, Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie (DCBP) und NCCR RNA & Disease, Universität Bern. (Bild: zvg)

Qualitätskontrolle gegen schadhafte Proteine

Jede Zelle enthält Tausende unterschiedliche Proteine (Eiweisse), von denen jedes eine bestimmte Aufgabe erfüllt. Um ein spezifisches Protein zu produzieren, muss ein Gen zunächst in ein Molekül der Boten-RNA (mRNA) kopiert werden. Dieses wird weiterverarbeitet und dient schliesslich als Bauplan für die Proteinproduktion in der zellulären Proteinfabrik.

«Es ist wichtig, dass diese mRNA korrekt hergestellt und verarbeitet wird – denn wenn der Bauplan Fehler enthält, entsteht ein fehlerhaftes Protein, das ein potenzielles Risiko fĂĽr die Zelle darstellt», sagt Oliver MĂĽhlemann vom Departement fĂĽr Chemie, Biochemie und Pharmazie (DCBP) und NCCR RNA & Disease. Daher verfĂĽgt die Zelle ĂĽber eine Reihe von Qualitätskontrollmechanismen, um fehlerhafte mRNAs aufzuspĂĽren und zu entfernen. Einer dieser Mechanismen, der im Fachjargon als Â«Nonsense-mediated mRNA decay» (NMD) bezeichnet wird, zielt speziell auf mRNAs ab, welche die Produktion eines Proteins zu frĂĽh abbrechen. Diese mRNAs enthalten einen Code, welcher der Proteinfabrik zu frĂĽh signalisiert, die Produktion eines Proteins zu stoppen – noch bevor das Protein vollständig hergestellt wurde.

Komplexer Prozess erhöht Fehlerrisiko

Solche fehlerhaften mRNAs entstehen meistens bei den Verarbeitungsschritten, welche eine mRNA durchlaufen muss, bevor sie als fertige Vorlage fĂĽr die Proteinproduktion dient. Ein solcher Verarbeitungsschritt ist das Splicing, bei dem gewisse Sequenzen (die Introns) aus der ursprĂĽnglichen mRNA herausgeschnitten und die restliche mRNA (die Exons) wieder zusammengeschweisst werden. Denn in menschlichen Zellen liegt ein Gen auf der DNA nicht als durchgehender Abschnitt vor, sondern es ist durch DNA-Abschnitte unterbrochen, die fĂĽr die Produktion eines Proteins nicht benötigt werden.

Die Informationen eines Gens liegen auf der DNA «zerstückelt» vor und müssen während der Genexpression zusammengefügt werden. Während des Splicing-Prozesses werden Introns (blau) erkannt und herausgeschnitten. Nach dem Splicing und weiteren Reifungsprozessen dient die mRNA als Vorlage für die Proteinproduktion. Durch alternatives Splicing können vom gleichen Gen verschiedene mRNA-Varianten (Isoformen) entstehen. (Bild: UniBE / NCCR RNA & Disease)

Der modulare Aufbau eines Gens ermöglicht, dass aus ein und demselben Gen verschiedene mRNA-Varianten und somit auch Proteinvarianten entstehen können. Dies ergibt eine Vielzahl möglicher Kombinationen und Proteine, was fĂĽr die Evolution komplexer Organismen besonders wichtig ist. Dieser Prozess birgt jedoch auch das Risiko, fehlerhafte Proteine zu produzieren.  

Abbauprodukte erstmals sichtbar gemacht

In gesunden Zellen, in denen die NMD-Qualitätskontrolle aktiv ist, kann man fehlerhafte mRNAs kaum nachweisen, da sie nach der Produktion rasch erkannt und abgebaut werden. Wie lässt sich dann feststellen, welche mRNAs der NMD-Qualitätskontrolle zum Opfer fallen? Indem man die Hauptakteure des Qualitätskontrollprozesses ausschaltet. Damit häufen sich die falsch gespleissten mRNAs in den Zellen an. Aber hier liegt die nächste Herausforderung: Diese mRNAs kommen vom gleichen Gen wie die «korrekten» mRNA-Varianten und sind diesen daher sehr ähnlich. Mit bisherigen Sequenzier-Methoden waren sie kaum zu unterscheiden.

Bisherige Methoden zum Aufspüren von mRNAs in Zellen beruhen auf der Sequenzierung vieler kleiner Abschnitte, die später mit bioinformatischen Tricks wieder zu einem Ganzen zusammengesetzt werden. Evan Karousis vom DCBP und NCCR RNA & Disease, Erstautor der Studie, erklärt, dass in der aktuellen Studie eine neue Methode angewandt wurde, die mRNAs von A bis Z an einem Stück entschlüsselt. «So kann jede detektierte mRNA eindeutig einer mRNA-Variante zugeordnet werden», so Karousis. Mit diesen technischen Kniffen gelang es den Forschenden erstmals, einen nahezu vollständigen Katalog von NMD-Abbauprodukten in menschlichen Zellen zu erstellen.

«Katalog» von mRNAs für neue Therapie-Ansätze

Durch diese Klassifizierung können Merkmale untersucht werden, welche NMD-Abbauprodukte von «herkömmlichen» mRNAs unterscheiden. «Häufen sich gewisse mRNAs an, die in gesunden Zellen durch die NMD-Qualitätskontrolle abgebaut werden, kann dies zur Entstehung von Tumoren beitragen, wie dies beispielsweise bei Magenkrebs der Fall ist», erklärt Oliver Mühlemann. Versteht man also, wie die Qualitätskontrolle die fehlerhaften von korrekten mRNAs unterscheiden kann, trägt dieses Wissen wesentlich dazu bei, neue therapeutische Ansätze für Krankheiten zu entwickeln, bei denen die Qualitätskontrolle beeinträchtigt ist.

www.unibe.ch

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