Endlich ist es gelungen, Experimente mit zweidimensionalen Graphenschichten unter dauerhafter Isolierung von der Umgebungsluft und den darin enthaltenen Fremdpartikeln durchzuführen – und nebenbei besonders dehnbare Varianten des «Wundermaterials» zu entwickeln.
Graphen ist extrem leitfähig und extrem fest, also sehr gut für elektrische und mechanische Anwendungen geeignet. Physiker der Universität Wien schafften es mit einer weltweit einzigartigen Methode, Graphen erstmals drastisch dehnbarer zu machen – durch Wellung wie bei einem Akkordeon.
Das eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten, in denen eine gewisse Dehnbarkeit nötig ist, wie etwa für «Wearable Electronics». Ein Beispiel dafür sind die beliebten Fitness-Tracker. Andere am Körper getragene bzw. in die Kleidung eingearbeitete Mini-Computer messen die Herzfrequenz, den Blutdruck, den Blutzuckerspiegel, den Kalorienverbrauch und vieles mehr; die Messergebnisse können anschliessend per App ausgewertet werden.
Die Forschenden um Prof. Dr. Jani Kotakoski, der sich an der Universität Wien unter anderem mit zweidimensionalen Materialien, mit auf atomarer Ebene «massgeschneiderten» Materialien und mit der Transmissionselektronenmikroskopie mit atomarer Auflösung beschäftigt, haben beim «Akkordeon-Graphen» mit der Technischen Universität Wien zusammengearbeitet. Den genauen Mechanismus dieses Phänomens publizierten sie im Fachjournal Physical Review Letters.
Vor 20 Jahren: zweidimensionale Festkörper
Der erste experimentelle Nachweis von Graphen im Jahr 2004 etablierte eine komplett neue Klasse von Materialien, die sogenannten zweidimensionalen (2D) Festkörper. Sie weisen eine einzige Lage von Atomen auf. Mit dieser minimalen Schichtstärke entstehen exotische Materialeigenschaften.
Graphen sticht hierbei mit seiner enormen elektrischen Leitfähigkeit heraus. Ausserdem ist es dank seiner bienenwabenförmigen atomaren Anordnung auch extrem zugfest. Das Entfernen einiger Atome aus dem Material samt damit einhergehender Bindungen sollte intuitiv zu einer Verringerung dieser Zugfestigkeit führen, doch Experimente sagen teilweise das Gegenteil: Sowohl eine kleine Verringerung als auch eine starke Erhöhung der Zugfestigkeit können gemessen werden.
Diese Widersprüche konnten durch die neuen Messungen an der Universität Wien nun aufgeklärt werden. Durchgeführt wurden die Experimente mit hochmodernen Geräten in luftleeren ultrasauberen Kammern, welche durch ebenfalls luftleere Metallröhren miteinander verbunden waren. Dadurch konnten die Proben von einem Gerät zum anderen gelangen, ohne jemals in Kontakt mit der Umgebungsluft zu kommen.
«Dieses einzigartige System, das wir an der Universität Wien entwickelt haben, ermöglicht uns eine ungestörte Untersuchung von 2D-Materialien», erklärt Prof. Kotakoski. Wael Joudi, Erstautor der Studie fügt hinzu: «Damit ist es uns erstmals gelungen, das Graphen während dieser Art von Experimenten dauerhaft von der Umgebungsluft und den darin enthaltenen Fremdpartikeln zu isolieren. Andernfalls würden sich diese innerhalb kürzester Zeit auf der Oberfläche ablagern und sowohl die Versuchsdurchführung als auch die Messung beeinflussen.»
Entdeckt: Materialwölbung durch kleine Leerstellen im Gitter
Erst der Fokus auf Reinheit der Materialoberfläche führte zur Entdeckung des sogenannten Akkordeoneffekts: Bereits die Entfernung von nur zwei benachbarten Atomen verursacht eine gewisse Wölbung des ursprünglich flachen Materials. Zusammen resultieren mehrere solcher Wölbungen in einer Wellung des Graphens.
«Man kann sich das wie ein Akkordeon vorstellen. Beim Auseinanderziehen werden diese Wellen abgeflacht», erklärt Wael Joudi.
Für das Auseinanderziehen des gewellten «Akkordeon-Graphens» bedarf es wesentlich weniger Kraft als für die Spannung von störstellenfreiem und daher komplett flachem Graphen. Von den theoretischen Physikern der Technischen Universität Wien, Rika Saskia Windisch und Florian Libisch, durchgeführte Simulationen bestätigen sowohl die Wellenbildung als auch die daraus resultierende geringere Zugfestigkeit des Materials. Es wird letztendlich dehnbarer.
Die Zukunft: massgeschneiderte Wearables
Während der Experimente zeigte sich auch, dass Fremdpartikel auf der Materialoberfläche diesen Effekt nicht nur unterdrücken, sondern sogar eine gegenteilige Wirkung hervorrufen. Konkret erscheint das Material dadurch zugfester, was auch die Widersprüche in der Vergangenheit erklärt.
«Damit haben wir die grosse Bedeutung der Messumgebung im Umgang mit 2D-Materialien bewiesen», resümiert Wael Joudi. Die Ergebnisse weisen einen Weg zur Steuerung der Zugfestigkeit von Graphen. Der Werkstoff sollte sich damit für Wearables und andere Anwendungen massschneidern lassen.