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Borreliose – Erkrankungswahrscheinlichkeit genetisch veranlagt

In der Schweiz erkranken jährlich tausende Personen an einer Borreliose. Ob für die Krankheitsentstehung eine besondere genetische Veranlagung eine Rolle spielt und welche immunologischen Prozesse im Körper beteiligt sind, ist bislang noch nicht hinreichend verstanden. Eine internationale Forschungsgruppe hat nun eine verantwortliche Genvariante sowie beteiligte Immunparameter entdeckt.
Ein frühes Symptom einer Borrelien-Infektion ist eine Wanderrötung (Erythema migrans), die sich von der Stichstelle ringförmig ausdehnt. Innerhalb von Tagen bis Wochen verschwindet sie wieder. (Bild: Shutterstock)

In der Schweiz erkranken jährlich tausende Personen an einer Borreliose. Ob für die Krankheitsentstehung eine besondere genetische Veranlagung eine Rolle spielt und welche immunologischen Prozesse im Körper beteiligt sind, ist bislang noch nicht hinreichend verstanden. Eine internationale Forschungsgruppe hat nun eine verantwortliche Genvariante sowie beteiligte Immunparameter entdeckt.

Ist eine Zecke mit dem Erreger Borrelia burgdorferi s. l. (sensu lato = im weiteren Sinne) infiziert, können diese auch als Borrelien bezeichneten Bakterien durch einen Zeckenstich auf den Menschen übergehen und krankmachen. Dabei können verschiedene Organsysteme betroffen sein: die Haut, das Nervensystem oder die Gelenke. Eine Infektion mit Borrelien führt nicht immer zur Erkrankung, und in der Regel kann eine Borreliose auch erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden. Forschende des Zentrums für Individualisierte Infektionsmedizin (CiiM) – einer gemeinsamen Einrichtung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) – haben nun in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Radboudumc (Radboud Universitair Medisch Centrum) sowie des Amsterdam UMC (beide Niederlande) jedoch folgendes herausgefunden: «Ein Teil der Betroffenen entwickelt trotz Antibiotikabehandlung bleibende Beschwerden wie Fatigue, kognitive Einschränkungen oder Schmerzen», sagt Prof. Yang Li, Direktorin des CiiM und Leiterin der Abteilung Bioinformatik der Individualisierten Medizin am HZI. «Um künftig zusätzliche Ansatzpunkte für die Entwicklung wirksamer Therapien zur Behandlung einer Borreliose zu finden, ist es zunächst wichtig, die für die Krankheitsentstehung verantwortlichen genetischen und immunologischen Mechanismen besser zu verstehen.»

Zeckenmodell des BAG: Gebiete, in denen sich Zecken in der Natur etablieren und überleben können. In den roten Zonen besteht eine hohe und in den blauen Zonen eine niedrige Wahrscheinlichkeit des Vorkommens. Das Modell baut auf Frühsommerwetter auf mit milden und feuchtem Wetter. (Screenshot aus BAG-Karte: ChemieXtra)

Dafür hat die Forschungsgruppe in ihren Untersuchungen die Genmuster von mehr als 1000 an Borreliose Erkrankten analysiert und mit Genmustern nicht infizierter Personen verglichen. «Ziel war es, spezifische Varianten von Genen aufzuspüren, die mit der Erkrankung in direktem Zusammenhang stehen», erklärt Javier Botey-Bataller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am CiiM und einer der Erstautoren der beiden Studien. «Und tatsächlich konnten wir bei Borreliose-Erkrankten eine besondere, bislang unbekannte Genvariante ausfindig machen.» Die Forschenden führten verschiedene zellbiologische und immunologische Tests durch, um herauszufinden, welche konkreten physiologischen Folgen diese genetische Veranlagung hat. «Zum einen konnten wir zeigen, dass bei Vorliegen dieser Genvariante antientzündliche Prozesse im Körper gedrosselt waren. Das heisst: Entzündungen und Krankheitssymptome der Borreliose halten dadurch womöglich länger an», erklärt Li. Und die Forschenden entdeckten darüber hinaus, dass Erkrankte mit dieser Genvariante deutlich weniger Antikörper gegen Borrelien produzierten. Sie vermuten, dass die Bakterien dadurch nicht effizient bekämpft werden können und die Erkrankung dadurch länger andauert.

Immunantworten über Genetik bestimmt

«Darüber hinaus konnten wir 34 verschiedene Genorte identifizieren, die über Botenstoffe, sogenannte Zytokine, an der Regulation der Immunantwort von Borreliose-Erkrankten beteiligt sind, und die auch bei anderen immunvermittelten Erkrankungen wie etwa Allergien eine wichtige Rolle spielen könnten», erklärt Botey-Bataller. Alle Gene des menschlichen Genoms werden in der Forschung in einer sogenannten Genkarte erfasst. Dabei hat jedes Gen dort seine individuelle Position, die als Genort bezeichnet wird. «Unsere Studienergebnisse zeigen deutlich, wie Immunantworten über die Genetik bestimmt werden», sagt Li. «Da unseren Studienergebnissen aufgrund der grossen Kohorte eine extrem breite Datenbasis zugrunde liegt, bieten sie eine hervorragende Grundlage für weiterführende Forschungsansätze, etwa um die Wirkung unterschiedlicher Varianten der beteiligten Gene auf die Krankheitsschwere der Borreliose hin zu untersuchen.»

Borreliose / Lyme-Krankheit

Die Lyme-Borreliose ist die häufigste durch Zecken übertragene Infektion in Nordamerika, Europa und Asien. In der Schweiz sind rund fünf bis 30 Prozent (stellenweise bis 50 Prozent) der Zecken mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi infiziert. Das Bundesamt für Gesundheit geht davon aus, dass in der Schweiz jährlich 10 000 Personen an einer Borreliose erkranken.

Je nach Art der Übertragung werden im Verlauf der Erkrankung verschiedene Organe betroffen. Bei einem Teil der Erkrankten kommt es nach Wochen, Monaten oder gar Jahren zu einem zweiten Stadium, während dem Gelenke, Nervensystem, Haut und (selten) das Herz befallen werden können. Eine Infektion kann mit Antibiotika behandelt werden. Unerkannt oder ungenügend behandelt, können sich als Folge einer Borreliose bleibende Behinderungen ergeben.

Langersehnte Frühdiagnose

Das französische Start-up En Carta Diagnostics arbeitet an einem Diagnosekit, mit dem die Borreliose innerhalb von Minuten selbstständig nachgewiesen werden kann. Derzeitige Borreliose-Tests sind auf den Nachweis von Antikörpern ausgelegt, die der Körper als Reaktion auf die Infektion bildet. Da es mehrere Wochen dauern kann, bis sich Antikörper entwickeln, können Tests, die an kürzlich infizierten Patienten durchgeführt werden, ein negatives Ergebnis liefern. Die molekulare Diagnoseplattform von En Carta ist die erste, die dieses Manko überwindet und den Weg für eine genauere und schnellere Diagnose ebnet. Das Unternehmen wird voraussichtlich Anfang 2025 präklinische Daten vorlegen.

www.encarta.bio

ChemieXtra


In den vergangenen Jahren hat die Häufigkeit der Borreliose in der nördlichen Hemisphäre zugenommen. Auch vor dem Hintergrund des Klimawandels müsse künftig mit einem weiteren Anstieg gerechnet werden, vermuten die Forschenden. Denn durch insgesamt mildere Temperaturen sei es wahrscheinlich, dass sich die Zeckensaison verlängern und das Verbreitungsgebiet von Zecken vergrössern wird. Die Folge: mehr Zeckenstiche und damit einhergehend auch mehr mögliche Borreliose-Fälle. «Mit unseren Studienergebnissen konnten wir wichtige Einblicke in die genetischen und immunologischen Prozesse gewinnen, welche die Entstehung einer Borreliose begünstigen. Wir hoffen, dass wir damit den Weg ebnen konnten hin zur Entwicklung wirksamer Therapien für Borreliose-Erkrankte mit langanhaltenden Symptomen», sagt Li. Die Ergebnisse haben die Forschenden in zwei Studien veröffentlicht. Diese sind in den Fachzeitschriften Nature Communications und BMC Infectious Diseases erschienen.

Nicole Silbermann, HZI

www.helmholtz-hzi.de

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