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Blaualgenzucker als Alternative zu Glyphosat

Das in den 1970er-Jahren entwickelte Glyphosat ist seit Jahren wegen seiner Auswirkungen auf Mensch und Umwelt umstritten. An einer umweltfreundlichen Alternative auf Basis eines natürlichen Zuckers aus Blaualgen arbeiten Promovierende an der Hochschule Bielefeld in Kooperation mit der Universität Tübingen.
Celina Beermann, Lebensmittelchemikerin und Doktorandin im Projekt «7dSh». (Bild: F. Hüffelmann/HSBI)

Das in den 1970er-Jahren entwickelte Glyphosat ist seit Jahren wegen seiner Auswirkungen auf Mensch und Umwelt umstritten. An einer umweltfreundlichen Alternative auf Basis eines natürlichen Zuckers aus Blaualgen arbeiten Promovierende an der Hochschule Bielefeld in Kooperation mit der Universität Tübingen.

Fein säuberlich beschriftet, stehen die Zentrifugenröhrchen aufgereiht in ihrer Halterung im Labor für Biochemie und Mikrobiologie der Hochschule Bielefeld (HSBI). Celina Beermann nimmt eines der Röhrchen heraus, schüttelt es ein paar Mal routiniert und hält es prüfend gegen das Licht: Kleine durchsichtige Kapseln wirbeln durch eine Flüssigkeit. Beermann lässt ein paar davon auf ihre Handfläche kullern. «Fühlt sich ein bisschen an wie Gummibärchen.»

Der Zucker wurde erst 2019 entdeckt 

Celina Beermann ist zwar Lebensmittelchemikerin, aber ihre «Gummibärchen» sollte man besser nicht probieren: In ihnen steckt 7-desoxy-Sedoheptulose (7dSh) – ein besonderer Zucker, der von Blaualgen, genauer: von Cyanobakterien – produziert wird. «7dSh wirkt herbizid, das heisst, er hemmt das Wachstum von Pflanzen», erklärt Beermann. Klingt nüchtern und wenig spektakulär, bedeutet aber: 7dSh ist eine echte Alternative für das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Und vor allem: 7dSh ist eine umweltverträgliche Alternative. «Der Zucker ist biologischen Ursprungs, in der Natur abbaubar und nach bisherigen Tests toxikologisch unauffällig», erläutert Beermann. Also ein idealer, nachhaltiger Wirkstoff für den Einsatz in der Landwirtschaft.

Der Wirkstoff 7dSh (7-desoxy-Sedoheptulose) ist eine natürliche Glyphosat-Alternative. (Bild: F. Hüffelmann/HSBI)

Wie aus dem Wirkstoff 7dSh ein anwendbares Präparat werden kann, wird derzeit in einem Kooperationsprojekt von HSBI und Universität Tübingen erforscht, wo der spezielle Zucker 2019 erstmals entdeckt wurde. Dabei hat die HSBI unter anderem die Aufgabe, eine Formulierung zu entwickeln. Formulierung bedeutet in diesem Zusammenhang schlicht die Überführung eines Wirkstoffes in eine in der Praxis anwendbare Form.

Unkraut aus dem Gleisbett fernhalten

An der Zusammenarbeit ist die Deutsche Bahn nicht ganz unschuldig: «Die Bahn hatte einen Workshop veranstaltet, um über Alternativen zum Glyphosat-Einsatz im Gleisbett zu diskutieren», erzählt Prof. Dr. Anant Patel, Vizepräsident für Forschung und Entwicklung der HSBI, der seit vielen Jahren zu natürlichen Pestiziden forscht. Als Experte für Fermentation und Formulierung biologischer und chemischer Stoffe war Patel Teilnehmer des Workshops und wurde hellhörig, als Tübinger Forscher den Wirkstoff 7dSh vorstellten, der von Cyanobakterien produziert wird. Patel: «Die Wirkung und Umwelteigenschaften überzeugten mich sofort.»

Prof. Dr. Anant Patel (r.) ist Experte für natürliche Pestizide und hat das Forschungsprojekt mitinitiiert. (Bild: F. Hüffelmann/HSBI)

Nur, wie gelangt der Wirkstoff in ausreichender Menge auf die Pflanze oder in den Boden? Hier konnte Patel seine Expertise einbringen: «Mit der entsprechenden Formulierung, als Granulat oder Sprüh-Lösung, wird die Anwendung unterstützt», erklärt Patel und ergänzt mit einem Augenzwinkern: «Manche sagen auch, die Formulierung macht die Anwendung erst möglich.»

Proben werden hin- und hergeschickt

An der Universität Tübingen werden nun der genaue Wirkmechanismus von 7dSh geklärt, die öko-toxikologischen Effekte im Vergleich zu Glyphosat gemessen und 7dSh-tolerante Varietäten entwickelt. «Schliesslich sollen die Nutzpflanzen ja weiterwachsen», sagt Celina Beermann. Sie selbst arbeitet als Promovierende in Prof. Patels Arbeitsgruppe an der optimalen Formulierung, wozu ein geeignetes Trägermaterial gehört. Für das Granulat hat Beermann verschiedene Materialien getestet: «Wichtig ist natürlich, dass sie ebenfalls biologischen Ursprungs sind und problemlos abgebaut werden.» Die durchsichtigen Kapseln etwa bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen. Dann geht es an den Inhalt: «Wie viel Zucker bekomme ich in so eine Kapsel hinein, und wie schnell löst sie sich auf? Der Wirkstoff soll am besten kontinuierlich über einen langen Zeitraum abgegeben werden, denn die Landwirte können ja nicht täglich das Präparat ausbringen», erklärt Beermann. 

Die 27-Jährige öffnet ein hohes Gerät, dünne Schläuche werden sichtbar, ein Träger voller Injektionsfläschchen, eine Messapparatur. Mit der HPLC (High Pressure/Performance Liquid Chromotography) kann sie die Konzentration des Wirkstoffs in der Flüssigkeit messen. Ist Beermann mit dem Ergebnis zufrieden, schickt sie die entsprechenden Proben nach Tübingen. «Dort wird die Formulierung an den Pflanzen überprüft. Denn was im Labor gut funktioniert, kann sich in der Praxis ganz anders verhalten.»

In grossem Massstab herstellbar? 

Das gilt auch für den Massstab. Lässt sich die Zuckermenge für den Laborbedarf noch gut finanzieren, wäre es für den Einsatz in der Fläche noch zu teuer. Hier setzt der Bielefelder Projektteil von Xenia Steurer an. Die Biotechnologin übernimmt quasi den Job der Blaualgen und arbeitet an der Erzeugung von 7dSh im Bioreaktor: «Der Wirkstoff muss wirtschaftlich und in grossen Mengen hergestellt werden können, wenn er in der Praxis eingesetzt werden soll.» Die Aussicht auf die tatsächliche spätere Anwendung ist genau das, was die Doktorandin antreibt: «Mir ist wichtig, dass meine Forschung zum Umweltschutz beitragen kann und der Wirkstoff eventuell von einem Unternehmen als nachhaltiges Herbizid verkauft wird.»

Glyphosat in der Schweiz

Neben Schwefel (Fungizid) und Paraffinöl (Insektizid) gehört Glyphosat zu dem am häufigsten verwendeten Wirkstoff in der Schweiz. Vergleicht man die Daten von 2008 bis 2020, wurde 2011 (383 Tonnen) am meisten Glyphosat verkauft. Die verkaufte Menge sank im erwähnten Zeitraum auf 119 Tonnen im Jahr 2020. Gemäss der «Fachinformation: Glyphosat», als PDF auf der Website des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV einsehbar, sei «Glyphosat in den letzten Jahren (1986 bis 2011) mehrmals durch verschiedene internationale Expertengremien wie EFSA und Joint FAO/WHO Meeting on Pesticide Residues (JMPR) basierend auf Hunderten von Studien überprüft und als nicht krebserregend bewertet» worden. Die internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO hat hingegen im März 2015 Glyphosat als «wahrscheinlich krebserregend» eingestuft.

Das BLV erwähnt ausserdem oben auf seiner Glyphosat-Webseite eine eigens durchgeführte Studie zur Aufnahme und Ausscheidung von Glyphosat-Rückstanden aus Lebensmitteln. Gemäss den im International Journal of Hygiene and Environmental Health publizierten Ergebnisse (2020) soll die Aufnahme vom Herbizid im menschlichen Körper «vermutlich viel geringer sein als angenommen». Die Studie wurde mit zwölf Probanden durchgeführt.

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Und damit ist die Forschungsgruppe auf gutem Weg. Der ständige Austausch und das Ineinandergreifen der verschiedenen Teilprojekte hat zu vielversprechenden Zwischenergebnissen geführt. Xenia Steurer konnte die Produktionsmenge bereits über die Erwartungen hinweg steigern, und Celina Beermanns Formulierungen steuern die Wirkung immer besser. Auch die Fachwelt ist darauf aufmerksam geworden: Unlängst wurde Xenia Steurer für ihren Vortrag auf einem internationalen Umweltsymposium für Biotechnologie und Ingenieurwesen ausgezeichnet. Und beide Doktorandinnen haben bereits die Möglichkeit genutzt, auf internationalen Konferenzen ihre Ergebnisse zu präsentiereng. Der nächste Schritt führt in die Wirtschaft. Anant Patel: «Das Interesse der Unternehmen ist gross und eine Zusammenarbeit nach erfolgreichem Projektabschluss geplant.»

www.hsbi.de

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