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Heisenberg unter dem Mikroskop

Detail der Optik, die verwendet wird, um das Licht zu lenken und zu manipulieren, das das Nanoteilchen einfängt. (Bild: Lorenzo Magrini/Aspelmeyer Group/University of Vienna)

Die meisten kennen sie wahrscheinlich: die Heisenbergsche Unschärferelation. Sie zeigt die Grenze des Messbaren in der Quantenwelt auf. Je genauer man den Ort eines Teilchen bestimmt, desto ungenauer lässt sich dessen Impuls ermitteln. Komplementäre Systeme, wie es Ort und Impuls sind, lassen sich nicht gleichzeitig exakt bestimmen. Österreichische Forscher testeten die quantenmechanischen Grenzen eines makroskopischen Glaskügelchens aus.

Ein Fussball ist kein Quantenteilchen. Zwischen Gegenständen, die wir aus dem Alltag kennen, und winzigen Quantenobjekten gibt es entscheidende Unterschiede. Quantenphänomene sind meist sehr fragil. Um sie zu studieren, verwendet man normalerweise nur eine kleine Zahl von Teilchen, gut abgeschirmt von der Umwelt, bei möglichst niedrigen Temperaturen.

Durch eine Zusammenarbeit der Universität Wien, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Technischen Universität Wien gelang es aber, ein heisses Glaskügelchen, bestehend aus ungefähr einer Milliarde Atome, mit bisher unerreichter Präzision zu vermessen und auf Quantenebene zu kontrollieren. Seine Bewegung wurde gezielt abgebremst, bis es den Zustand kleinstmöglicher Energie annahm. Die Messmethode erreichte dabei beinahe das Limit, das von der Heisenbergschen Unschärferelation vorgegeben wird – mehr Präzision lässt die Physik grundsätzlich nicht zu. Möglich wurde das, indem spezielle Methoden aus der Regelungstechnik erstmals in dieser Form auf Quantensysteme angewendet wurden. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal «Nature» publiziert.

Perfekte Präzision ist unmöglich

Die Messung beeinflusst das gemessene Objekt, das ist eines der wichtigsten Grundprinzipien der Quantentheorie. «Werner Heisenberg überlegte sich dazu ein berühmtes Gedankenexperiment – das sogenannte Heisenberg-Mikroskop», erklärt Physiker Lorenzo Magrini, der Erstautor der Studie von der Universität Wien. «Wenn man in einem Mikroskop die Position eines Objekts sehr genau messen möchte, muss man Licht mit möglichst kurzer Wellenlänge verwenden. Kurze Wellenlänge bedeutet aber höhere Energie, dadurch wird die Bewegung des Teilchens stärker gestört.» Man kann nicht gleichzeitig den Aufenthaltsort und den Bewegungszustand eines Teilchens exakt messen. Das Produkt ihrer Ungenauigkeiten ist immer durch das Plancksche Wirkungsquantum begrenzt – das ist die sogenannte Heisenbergsche Unschärferelation. Man kann allerdings ausloten, wie nahe man sich an diese von der Natur vorgegebene Genauigkeits-Schwelle herantasten kann.

Nanoteilchen unter quantenmechanischer Betrachtung

Im Team von Prof. Markus Aspelmeyer an der Universität Wien verwendet man dafür ein Glaskügelchen mit einem Durchmesser von weniger als 200 Nanometern, bestehend aus ungefähr einer Milliarde Teilchen – für unsere Alltagsmassstäbe ist das sehr klein, doch für quantenphysikalische Massstäbe handelt es sich um ein recht grosses Objekt.

Mithilfe eines Laserstrahls kann das Glaskügelchen festgehalten werden. Die Atome des Kügelchens werden vom Laser aufgeheizt, die innere Temperatur des Kügelchens beträgt mehrere hundert Grad Celsius. Das bedeutet, dass die Atome des Kügelchens heftige Wackelbewegungen ausführen. Im Experiment untersuchte man aber nicht die Wackelbewegungen der einzelnen Atome, sondern das kollektive Wackeln des Kügelchens in einer Laserfalle. «Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge, ähnlich wie auch die Bewegung eines Pendels in der Pendeluhr etwas anderes ist als die Bewegung der einzelnen Atome im Pendel», sagt Aspelmeyer.

Infrarotaufnahme des vor dem Mikroskopobjektiv gefangenen Teilchens im Quantengrundzustand. (Bild: Lorenzo Magrini/Constanze Bach/Aspelmeyer Group/University of Vienna)

Quanten-Regelungstechnik

Das Ziel war, die Pendelbewegung des Glaskügelchens exakt zu kontrollieren – und zwar bis auf das Niveau, das quantenphysikalisch gerade noch möglich ist, auch wenn es sich beim Glaskügelchen eigentlich um ein makroskopisches Objekt handelt. Damit das gelingen kann, muss die Regelung perfekt entworfen und auf das Experiment abgestimmt sein – diese Aufgabe übernahm das Team des Elektrotechnikers Prof. Andreas Kugi an der TU Wien.

«In der Regelungstechnik geht es darum, Systeme so zu beeinflussen, dass sie ein gewünschtes Verhalten aufweisen unabhängig von Störungen und Parameterschwankungen», sagt Kugi. «Das kann etwa ein Roboterarm sein, die Produktionsanlage einer Fabrik, oder auch die Temperatur eines Hochofens.» Die modernen Methoden der Regelungstechnik auch auf Quantensysteme anzuwenden, eröffnet neue Möglichkeiten: «Man hat dabei aber auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die in dieser Form in der klassischen Systemtheorie und Regelungstechnik nicht vorhanden sind», erklärt Kugi. «Bei klassischen Regelungsaufgaben hat die Messung keinen oder nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf das System. In der Quantenphysik lässt sich dieser Einfluss aber grundsätzlich nicht verhindern. Wir müssen daher auch neuartige regelungstechnische Methoden entwickeln.»

Das gelang: Das vom Glaskügelchen zurückgestreute Licht wurde mit einer Mikroskopietechnik möglichst vollständig detektiert, daraus ermittelte man in Echtzeit die aktuelle Position des Kügelchens mit einer Präzision im Pikometer-Bereich und passte dann ein elektrisches Feld immer genau so an, dass es der Bewegung des Glaskügelchens entgegenwirkte. Auf diese Weise gelang es, das gesamte Kügelchen gezielt abzubremsen und in einen Bewegungszustand zu versetzen, der dem quantenphysikalischen Grundzustand entspricht – also dem Zustand der kleinstmöglichen Bewegungsenergie. Und das obwohl es sich um ein verhältnismässig grosses Objekt handelt, dessen Atome bei grosser Hitze kräftig wackeln.

Zusammenarbeit von Physik und Regelungstechnik

«Man muss immer Orts- und Bewegungsunschärfe gemeinsam betrachten. Insgesamt betrug das Produkt der Quantenunschärfen des Glaskügelchens nur das 1,7-fache des Planckschen Wirkungsquantums», sagt Magrini. Ein Plancksches Wirkungsquantum wäre die absolute theoretische Untergrenze – es ist also gelungen, so knapp wie nie zuvor bei einem Objekt dieser Grösse ans absolute Quantenlimit heranzurücken. Die im Experiment gemessene Bewegungsenergie entsprach einer Temperatur von gerade einmal 5 Mikrokelvin, also 5 millionstel Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt. Der Bewegung des Glaskügelchens insgesamt kann also auch dann eine extrem niedrige Temperatur zugeordnet werden, wenn die Atome, aus denen das Kügelchen besteht, eine sehr hohe Temperatur haben.

Lorenzo Magrini (links) und Constanze Bach (rechts) aus der Aspelmeyer-Gruppe beim Monitoring des Zustands eines schwebenden Nanoteilchens. (Bild: Uros Delic/Kahan Dare/Aspelemyer Group/University of Vienna/IQOQI)

Dieser Erfolg zeigt das grosse Potenzial dieser neuen Verbindung aus Quantenphysik und Regelungstechnik: Beide Forschungsgruppen wollen in dieser Richtung weiterarbeiten und mit Know-how aus der Regelungstechnik noch bessere und präziser kontrollierte Quantenexperimente ermöglichen. Anwendungsmöglichkeiten dafür gibt es viele, sie reichen von Quantensensoren bis zu Technologien aus dem Bereich der Quanteninformation.

www.univie.ac.at

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