Forschende der Universitätsmedizin Göttingen haben ein neues Verfahren entwickelt, das es erstmals ermöglicht, die 3-D-Form von Proteinen mit einem herkömmlichen Mikroskop abzubilden. Die mit KI kombinierte «ONE»-Mikroskopie ermöglicht die Erkennung von Strukturveränderungen geschädigter oder toxischer Proteine in menschlichen Proben. Erkrankungen wie Morbus Parkinson, die auf Proteinfehlfaltungen beruhen, könnten somit frühzeitig erkannt und behandelt werden.
Die Fluoreszenz-Bildgebung ist eines der vielseitigsten und am weitesten verbreiteten Instrumente in der Biologie, um biologische Prozesse in lebenden Zellen zu beobachten. Trotz der Fortschritte in der Technik und der Verbesserung der Auflösung bleibt die Darstellung einzelner Moleküle und die Organisation molekularer Komplexe mittels Fluoreszenzmikroskopie eine Herausforderung. Dies war bisher ausschliesslich mit teuren strukturbiologischen Methoden wie der Elektronenmikroskopie (EM) und insbesondere der Kryo-EM möglich, bei der die Proben mit einem sehr starken Elektronenstrahl bei extrem niedriger Temperatur abgebildet werden.
Vergrösserung des Probenvolumens
Eine Forschungsgruppe hat nun mit ein paar einfachen, aber effektiven Tricks eine Methode entwickelt, um einzelne Moleküle mit herkömmlicher Lichtmikroskopie detailgenau darzustellen. Statt teure, hochauflösende Mikroskope einzusetzen, um die Auflösung zu verbessern, entwickelten sie die «einstufige Nanoskalen-Expansions-Mikroskopie» (One-step Nanoscale Expansion: ONE). Bei diesem Verfahren wird das Volumen der Probe vergrössert, indem die Zellen und die darin enthaltenen Strukturen auf ein wasserabsorbierendes Gel gebunden werden, welches in die Zellen eindringt. Durch die Aufnahme von Wasser vergrössert sich das Gel bis auf das 15-fache seines Volumens. Die Moleküle in der Probe bewegen sich dadurch gleichmässig auseinander und werden ebenfalls grösser, sodass sie nach gezielter Markierung mit fluoreszierenden Molekülen mit einem Lichtmikroskop abgebildet werden können.
Kombiniert mit einem auf Künstlicher Intelligenz basierenden Verfahren zur Auswertung der Fluoreszenzveränderungen, gelang den Forschenden erstmals, was bisher nur mit der hochauflösenden Kryo-Elektronenmikroskopie und Röntgentechnologie möglich war: «Wir sind jetzt in der Lage, 3-D-Proteinstrukturen aus zweidimensionalen Fluoreszenzbildern zu rekonstruieren», so Prof. Dr. Silvio O. Rizzoli, Direktor der Instituts für Neuro- und Sinnesphysiologie der Universitätsmedizin Göttingen. Dies bietet eine noch nie dagewesene Möglichkeit, feine strukturelle Details einzelner Proteine sowie von Multiproteinkomplexen in Zellen oder auch isoliert direkt darzustellen. Auch Veränderungen in der räumlichen Struktur von Proteinen sind mit der ONE-Mikroskopie leicht aufzudecken. In einer Kooperation mit Kollegen aus Göttingen (D) und Kassel (D) konnten molekulare Proteinaggregate, die typisch für die Parkinson-Erkrankung sind, in Hirnwasser-Proben von Patientinnen und Patienten abgebildet und klassifiziert werden. Das ist vielversprechend für eine verbesserte Früherkennung der Parkinson-Erkrankung, von der weltweit Millionen Menschen betroffen sind.
Mit herkömmlichem Mikroskop durchführen
Die ONE-Mikroskopie ist ein einfaches und kostengünstiges Verfahren, das in jedem Labor mit einem herkömmlichen Mikroskop durchgeführt werden kann und ein Auflösungsniveau im Bereich von zirka einem Nanometer erreicht. Das ist etwa 100 000 Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Die benötigte Software stellen die Autoren als kostenloses Open-Source-Paket zur Verfügung. Das neue Verfahren wurde in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology veröffentlicht. Aufgrund des hohen Potentials hat Nature die ONE-Mikroskopie in die Liste der «sieben Technologien von 2024, die man im Auge behalten sollte» aufgenommen.