Jährlich fallen weltweit 119 Millionen Tonnen gebrauchtes Pflanzenöl an, hauptsächlich aus Gewerbeküchen und Restaurants. Nur ein kleiner Teil davon wird wiederverwendet, beispielsweise zur Produktion von Treibstoffen wie Biodiesel. Am Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock (Likat), Deutschland, wurde ein Katalysator entwickelt, der gebrauchtes Speiseöl nutzt, um primäre Amine zu synthetisieren.
Bislang wurde gebrauchtes Speiseöl hauptsächlich zu Biokraftstoffen verarbeitet. Das bedeutet, dass der atomare Kohlenstoff im gebrauchten Speiseöl mit dem Diesel verbrennt und als CO2 in die Atmosphäre gelangt – mit negativen Folgen für das Klima. Es wäre klüger, den Kohlenstoff bei der Verwertung des Alt-Speiseöls zu behalten und ihn zurück in den Kreislauf zu bringen, wo er ebenfalls benötigt wird. Schliesslich ist Kohlenstoff in nahezu allen unseren Alltagsprodukten enthalten.
Angesichts des Klimawandels lernen Gesellschaften auf der ganzen Welt, auf fossile Kohlenstoffquellen wie Kohle, Öl und Gas zu verzichten. Alternativ arbeitet die Chemie mit anderen Wissenschaftsdisziplinen zusammen, um Konzepte und Produkte zu entwickeln, die dem Leitprinzip der Kreislaufwirtschaft folgen. Dazu gehört, Kohlenstoff für unsere Wirtschaftsgüter in Zukunft aus organischem und plastischem Abfall zu gewinnen. In diesem Themenfeld wird am Likat eng mit der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (D) und dem dortigen Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme
zusammengearbeitet. Eines der gemeinsamen Ziele in dieser Kooperation ist es, neue Anwendungsmöglichkeiten für (bio-basierte) Abfälle zu finden.
Massenprodukt Amine
«Unser Ziel ist es, gebrauchtes Speiseöl als nützliches chemisches Ausgangsmaterial zur Herstellung wertvoller Produkte zu erschliessen», sagt Fairoosa Poovan, Doktorandin am Likat. «Amine waren eine naheliegende Wahl.» Das sind Derivate von Ammoniak (NH3), sie werden in der organischen Chemie in grossem Massstab benötigt. Es gibt Dutzende von Arten von Aminen, der globale Markt wird auf über 16 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Gebrauchtes Speiseöl enthält langkettige Fettsäuren, die in andere wertvolle Chemikalien umgewandelt werden können. Mit einem geeigneten Katalysator und in Anwesenheit von Ammoniak und Wasserstoff werden auch gewünschte Amine daraus. Wenn eines der drei Wasserstoffatome im Ammoniak durch eine andere Gruppe ersetzt wird, bezeichnen Chemiker diese Amine als «primäre Amine» (R-NH2). Poovan entwickelte einen kobalt-basierten Katalysator (unter Betreuung ihres Doktorvaters Matthias Beller sowie Jagadeesh Rajenahally), der gebrauchtes Speiseöl effizient in primäre Fettsäurenamine umwandeln kann.
Die grösste Herausforderung bestand darin, einen selektiven und kosteneffizienten Weg zur Herstellung dieser primären Amine aus Bioabfällen zu finden. Bisher nutzt die Industrie zur Herstellung von Fettsäureaminen den sogenannten «Nitrilweg». Dieser etablierte Prozess hat jedoch Nachteile. Er benötigt harte Reaktionsbedingungen, umfasst mehrere Reaktionsschritte
und ergibt am Ende ein Produktgemisch verschiedener Amine (primär, sekundär und tertiär), die aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit nur schwer zu trennen sind.
Selektive Ein-Topf-Reaktion
Die industrielle Synthese von Fettaminen umfasst drei Schritte. Erstens: Hydrolyse von Pflanzenöl zu Fettsäuren. Zweitens: Aminierung-Dehydratisierung von Fettsäuren bei hoher Temperatur (über 250 °C) in Anwesenheit von Metalloxidkatalysatoren (z. B. Aluminiumoxid oder Zinkoxid), um Fettnitrate zu erzeugen. Schliesslich drittens: Hydrierung zur Herstellung der
gewünschten Amine.
«Es war unser Ziel, den Prozess so einfach wie möglich zu halten und ein Ein-Topf-System zu entwickeln, mit dem wir alle Substanzen samt Katalysator als Lösung in einem Gefäss kombinieren. Dies verbessert die Ressourcen-, Atom- und Reaktionseffizienz signifikant», sagt Poovan. Im Vergleich zum industriellen Verfahren arbeitet ihr Prozess bei moderateren
Temperaturen, und aufgrund der hohen Effizienz des Katalysators wird das primäre Amin mit «hervorragender Selektivität», wie sie sagt, produziert. Und es ist auch ein kosteneffizienter Weg zu Aminen, da die Doktorandin Kobalt, ein unedles Metall, als Katalysator verwendet.
Für das Experiment verwendete Poovan handelsübliches Sonnenblumenöl, das zum Kochen verwendet wurde. Nach einer Filtration analysierte sie es in einem akkreditierten Lebensmittelqualitätslabor (Lufa Northwest). Speiseöle sind ein komplexes System aus verschiedenen Fettsäurekomponenten. Die meisten von ihnen haben eine Kettenlänge von 16 oder 18 Kohlenstoffatomen, entsprechend unterscheiden sich auch die produzierten Amine in der Länge der Fettsäurekette. Nach den Worten der Forscherin ist es wichtig, das Verhältnis der verschiedenen Fettsäuren im gebrauchten Speiseöl zu kennen, um Reaktion sowie Funktion und Effizienz des Katalysators beurteilen zu können.
Geeignet für den Abbau von Polymeren
Der Prozess kann ebenso gut für das Upcycling von Kunststoffen verwendet werden, dessen Recyclingproblem sehr ähnlich ist, sogar in ähnlichem Massstab. Jährlich verlassen 300 Millionen Tonnen Kunststofferzeugnisse die Produktionsstätten weltweit. Laut offiziellen Angaben werden 53 Prozent dessen, was in den Mülltonnen landet, zumindest in Deutschland, «energetisch» recycelt, das heisst verbrannt. Und damit zurück zum Ausgangspunkt. «An einer Kreislaufwirtschaft führt kein
Weg vorbei», schliesst die Chemikerin. Sie wird nächstes Jahr ihre Dissertation an der Universität Rostock (D) verteidigen.