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Chemie- und Pharmaberufe Verbandes

Kleine Organismen mit grossem Potential

Abb. 1a: Algenproduktion bei Agroscope. (Bild: Agroscope)

Algen können uns im Alltag auf die Nerven gehen – sei es im vergessenen Wassereimer im Garten, der Kaffeemaschine oder dem Wasserstoffgenerator im Labor. Doch genau dieses unbändige Wachstum, das sie oft zum Ärgernis macht, offenbart ihr enormes Potenzial. Sie gedeihen überall, selbst unter widrigsten Bedingungen, und das macht sie nicht nur lästig, sondern auch faszinierend.

Algen werden allgemein als einzellige Organismen definiert, die Photosynthese betreiben und keine «höheren Pflanzen» (Embryophyten) sind. Wenn sie mikroskopische Dimensionen aufweisen (~5 µm), werden sie Mikroalgen genannt. Mit schätzungsweise mehr als 800’000 Arten weisen Mikroalgen eine extrem hohe Biodiversität auf. Ihre Vielfalt an Stoffwechselprodukten wie Proteinen, Lipiden oder Vitaminen hat sie zunehmend in den Fokus biotechnologischer Prozesse gerückt. Dabei werden Mikroalgen auch genutzt, um einen biotechnologischen Prozess und die dabei entstehenden Produkte klimafreundlicher zu gestalten. Mikroalgen binden CO2 und produzieren so nutzbare Biomasse. Die Mikroalgenproduktion hat einige Vorteile im Vergleich zum Anbau konventioneller Pflanzen, beispielsweise benötigt sie weniger Fläche und Nährstoffe und ist sehr effizient bei der Umwandlung von Sonnenlicht und CO2 in Biomasse (~1,8 kg CO2 pro kg Biomasse). Allerdings gibt es auch Herausforderungen, wie den hohen Stromverbrauch für die Kultivierung (Licht, Pumpe, Filter, Temperaturkontrolle), die langsame Wachstumsrate und die Abhängigkeit von Licht und Temperatur.

Mikroalgen liefern unter anderem wertvolles Eiweiss, Fettsäuren, Mineralien und Vitamine, und sind daher für die menschliche, insbesondere für die vegetarische und vegane Ernährung sehr interessant. In der Nutztierhaltung können Mikroalgen verwendet werden, um proteinreiche Futtermittel und -zusätze herzustellen bei einer Flächenersparnis von ca. 60 Prozent zum Nutzpflanzenanbau. Trotz ihres enormen Potenzials sind derzeit nur wenige Mikroalgenarten für die menschliche Ernährung zugelassen, dazu zählen Arthrospira (Spirulina) und Chlorella, aber neue Stämme liegen bereits zur Bestätigung bei der European Food Safety Authority (EFSA). In der Schweiz gibt es für die tierische Ernährung mit Mikroalgen keine Beschränkungen.

Die volatilen organischen Substanzen (VOCs), die von den Kulturen produziert werden, können als wichtige Biomarker für die Kultivierung der Mikroalgen dienen. Sie sind ein Indikator für den Gesundheitszustand der Kultur, denn sie können z. B. Zellstress anzeigen. Die VOCs variieren je nach Zellwachstumsstadium und sind somit wichtige Biomarker für eine rechtzeitige Ernte. Zudem besteht die Möglichkeit, die verschiedenen Kulturen und Algen/Bakterien/Co-Kulturen mittels ihrer VOC-Profile zu kategorisieren und Unterschiede herauszuarbeiten, um sie zu charakterisieren. Ausserdem spielen die VOCs eine entscheidende Rolle für das Aroma von Nahrungs- und Futtermitteln. Um zu verstehen, ob und warum eine bestimmte Mikroalgenkultur von Menschen oder Nutztieren geschmacklich bevorzugt wird, ist eine umfassende Analyse der VOCs notwendig. Diese Analyse kann anschliessend massgeblich zur Auswahl der geeignetsten Kultur für einen spezifischen biotechnologischen Prozess und zur Verbesserung der Sicherheit und Verwertung von Futter- und Lebensmitteln beitragen.

Unterschiede im VOC-Profil verschiedener Kulturen

Unterscheiden sich die VOCs verschiedener Kulturen? Ja! Verschiedene Kulturen produzieren unterschiedliche VOCs. Es gibt signifikante Unterschiede im VOC-Profil der untersuchen Spezies Tetradesmus obliquus, Tetradesmus sp., Stichococcus sp. und Chloroidium saccharophilum, welche in der Mikroalgen-Sammlung von Agroscope vorhanden sind (Abb. 1). Die Menge der produzierten VOCs kann jedoch auch innerhalb der einzelnen Spezies variieren und könnte ein Hinweis auf das Alter der Kultur oder das Stoffwechselstadium sein. Insgesamt wurden fünf verschiedene Acetatderivate sowie verschiedene Alkohole, Aldehyde und ein Alkin identifiziert (Abb. 2). Eine Substanz, die hingegen von fast allen Algenkulturen, mit Ausnahme von Tetradesmus sp., in unterschiedlichen Mengen produziert wird und daher unspezifisch ist, ist Ethylacetat. In anderen Studien wurde eine erhöhte Konzentration an Ethylacetat in der Absterbephase gefunden. Ebenfalls wird Benzaldehyd sowohl von Tetradesmus als auch von Stichococcus sp. produziert und kann als Antioxidans in den Zellen wirken. 1-Penten-3-ol ist eine spezifische Substanz, die, in dieser Studie nur von Tetradesmus obliquus und Tetradesmus sp. produziert wird. In anderen Studien war 1-Penten-3-ol eine unspezifische Substanz, die in mehreren verschiedenen Kulturen gefunden wurde. 4-Hexen-1-ol-acetat wurde ausschliesslich von Stichococcus sp. produziert.

Abb. 2: Analytisches Signal (EIC-Intensität), Verteilung und Struktur der volatilen Substanzen in den verschiedenen Algenkulturen. Für die Farbgebung der Substanzen siehe Tabelle. (Grafik: Agroscope)

Ein allgemeiner Biomarker für das Vorhandensein einer Co-Kultur von Algen und Bakterien konnte nicht identifiziert werden. Es konnten jedoch enorme Schwankungen in der Ethylacetatmenge bei Chloroidium saccharophilum und Chloroidium saccharophilum + Diplococcus festgestellt werden, wobei die Co-Kultur eine siebenfach höhere Menge aufwies. Dies könnte auf ein Absterben der Algen durch das Zusammenleben mit den Bakterien hindeuten. Bei der anderen Co-Kultur aus Stichococcus sp. und einem nicht identifizierten Bakterium war die Menge an Ethylacetat siebenmal geringer als in der reinen Stichococcus-Kultur, was hingegen eher auf eine symbiotische Beziehung in der Co-Kultur hindeutet. Hingegen war die Menge an 4-Hexen-1-ol-acetat in der Co-Kultur doppelt so hoch wie in der reinen Kultur. Der Metabolismus der Mikroorganismen beeinflusst sich innerhalb einer Co-Kultur gegenseitig und kann daher zu diesen Unterschieden führen.

Einfluss der VOCs auf das Aroma

Die Aromabeschreibungen der identifizierten Substanzen präsentieren eine Vielfalt an olfaktorischen Eindrücken, darunter natürliche, ätherische, fruchtige, fermentierte, süsse, Bittermandel- und grasige Noten (Abb. 3). Die meisten dieser Noten sind angenehm für den menschlichen Geschmack. Es ist jedoch denkbar, dass insbesondere eine zu hohe Benzaldehydkonzentration in den Kulturen zu einem zunehmend bittermandelartigen Geschmack (Marzipan) führen kann, der nicht von allen Menschen gemocht wird. Wie sich das Aroma auf Nutztiere auswirkt, ist noch weitgehend unbekannt und sollte in weiteren Studien untersucht werden. Es ist davon auszugehen, dass erhebliche Unterschiede zum Menschen bestehen.

Abb. 3: Liste der volatilen Substanzen. Der Geruchsschwellenwert und die Geruchsbeschreibung gelten für die menschliche Wahrnehmung. (Tabelle: Agroscope)

Die Ergebnisse zeigen, dass es Unterschiede in den VOC-Profilen der verschiedenen Algenkulturen gibt. Es gibt sowohl Substanzen, die in mehreren verschiedenen Kulturen und Co-Kulturen vorkommen, als auch solche, die spezifisch für eine Spezies sind. Es ist davon auszugehen, dass bestimmte Biomarker und auch das gesamte VOC-Profil zur Identifizierung und Charakterisierung verschiedener Algenkulturen und zur Bestimmung des Stoffwechselstatus genutzt werden können. Des Weiteren soll untersucht werden, ob die VOCs als spezifische Biomarker für Geschmack, Anomalien, Kontaminationen oder das Absterben einer Kultur genutzt werden können. Weitere Kulturen und Co-Kulturen müssen untersucht werden, um die Daten zu erweitern. Das Aroma einer bestimmten Kultur hängt stark vom VOC-Profil ab und sollte für eine Anwendung in Nahrungsmitteln oder Futtermitteln, neben den weiteren strengen Anforderungen wie beispielsweise Oxidations- und mikrobielle Stabilität, berücksichtigt werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Analyse von VOCs entscheidend für die Weiterentwicklung biotechnologischer Algenproduktionsprozesse ist und dass Algen auch in ihren VOC-Profilen und Aromen so vielfältig sind wie es ihre Biodiversität vermuten lässt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Algen weit mehr Potential haben, als wir derzeit zu nutzen wissen und dass sie viel weniger lästig sind als unser alltägliches Zusammenleben mit ihnen vermuten lässt.

Lucie K. Tintrop, Alexandra Baumeyer-Brahier, Daniel Kurpan, Pascal Fuchsmann, Agroscope

www.agroscope.admin.ch

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