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Doch keine Ursache für ADHS

Eine umfassende internationale Studie mit Daten von über 3,6 Millionen Mutter-Baby-Paaren hat gezeigt, dass es unwahrscheinlich ist, dass Schwangerschaftsdiabetes eine direkte Ursache für die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist.
Selbsttest zur Zuckerkontrolle mit einem Gerät, das den Blutzucker berechnet. (Bild: Envato)

Eine umfassende internationale Studie mit Daten von über 3,6 Millionen Mutter-Baby-Paaren hat gezeigt, dass es unwahrscheinlich ist, dass Schwangerschaftsdiabetes der Mutter eine direkte Ursache für die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei ihren Kindern ist.

Eine internationale Forschungsgruppe unter der Leitung der Universität Hongkong und unter Beteiligung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim hat in einer Längsschnittstudie über einen Zeitraum von 20 Jahren wertvolle Hinweise auf die seit langem geführte Debatte über die möglichen Auswirkungen von Diabetes bei Müttern auf ADHS bei Kindern geliefert. Diese Studie, in der reale Daten von über 3,6 Millionen Mutter-Baby-Paaren in Hongkong, Neuseeland, Taiwan, Finnland, Island, Norwegen und Schweden analysiert wurden, zeigte, dass es unwahrscheinlich ist, dass Schwangerschaftsdiabetes eine direkte Ursache für ADHS ist. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlicht. 

Weltweit haben etwa 16 Prozent der Frauen während der Schwangerschaft einen hohen Blutzuckerspiegel, und die Prävalenz von Schwangerschaftsdiabetes nimmt aufgrund von Faktoren wie Fettleibigkeit und höherem Alter der Mütter immer mehr zu. Dies kann sich negativ auf die Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems des Babys auswirken. ADHS ist eine der häufigsten neurologischen Entwicklungsstörungen bei Kindern, die schwerwiegende negative Folgen haben kann. Menschen mit ADHS sind beispielsweise anfällig für emotionale Probleme, Selbstschädigung, Drogenmissbrauch, schlechte schulische Leistungen, Ausschluss von der Schule, Schwierigkeiten im Beruf und in Beziehungen und sogar Kriminalität.

Risikofaktoren identifizieren

Die Auswirkung von Diabetes bei der Mutter auf das ADHS-Risiko bei Kindern war aufgrund widersprüchlicher Ergebnisse früherer Studien Gegenstand von zahlreichen wissenschaftlichen Diskussionen. Infolgedessen bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich der Schwangerschaft von Frauen mit Diabetes und deren möglichem Zusammenhang mit dem ADHS-Risiko. In der Erkenntnis, wie wichtig es ist, Risikofaktoren für ADHS zu ermitteln, insbesondere bei Frauen im gebärfähigen Alter, wurden in der multinationalen Studie bevölkerungsbezogene Daten in den oben erwähnten Ländern verwendet, um den Zusammenhang zwischen Diabetes bei der Mutter und dem ADHS-Risiko bei den Nachkommen umfassend zu bewerten.

Entscheidende Erkenntnisse

Die Studie, die eine bemerkenswerte Stichprobengrösse von über 3,6 Millionen Mutter-Kind-Paaren von 2001 bis 2014 mit einer Nachbeobachtungszeit bis 2020 umfasst, liefert entscheidende Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen mütterlichem Diabetes während der Schwangerschaft und dem Risiko von ADHS. Die Forschungsgruppe unter der Leitung von Professor Ian Wong Chi-kei der Universität Hongkong fand zunächst heraus, dass Kinder von Müttern mit jeglicher Art von Diabetes, ob vor oder während der Schwangerschaft, ein leicht erhöhtes ADHS-Risiko im Vergleich zu nicht exponierten Kindern hatten, mit einer «Hazard Ratio» von 1,16. Das bedeutet, dass das Risiko für ein Kind mit ADHS in der Gruppe der Mütter mit jeglicher Art von Diabetes um das 1,16-fache höher war als in der Vergleichsgruppe der Mütter ohne Diabetes-Erkrankung. 

In der Studie wurde ausserdem ein erhöhtes ADHS-Risiko sowohl für Schwangerschaftsdiabetes (Diabetes während der Schwangerschaft) als auch für bereits bestehenden Diabetes vor der Schwangerschaft festgestellt. Die Hazard Ratio für Schwangerschaftsdiabetes betrug 1,10, was auf ein geringfügig erhöhtes Risiko hinweist, während die Hazard Ratio für bereits bestehenden Diabetes vor der Schwangerschaft 1,39 betrug, was auf einen stärkeren Zusammenhang hindeutet. 

Geschwisterkinder untersucht

Ein interessantes Ergebnis ergab sich jedoch, als die Forschenden das ADHS-Risiko zwischen Geschwistern mit nicht übereinstimmender Exposition gegenüber Schwangerschaftsdiabetes verglichen und keinen signifikanten Unterschied feststellten. Dieses unerwartete Ergebnis deutet darauf hin, dass das zuvor festgestellte ADHS-Risiko bei Kindern, die während der Schwangerschaft einem Schwangerschaftsdiabetes ausgesetzt waren, wahrscheinlich auf gemeinsame genetische und familiäre Faktoren zurückzuführen ist und nicht auf den Schwangerschaftsdiabetes an sich. Diese Ergebnisse stellen frühere Studien in Frage, die davon ausgingen, dass Diabetes bei der Mutter während oder vor der Schwangerschaft das ADHS-Risiko bei Kindern erhöhen könnte.

Bisherige Forschungsergebnisse in Frage gestellt

Die Koordination mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt, die multinationale Fälle aus über 20 Jahren analysierten, war keine leichte Aufgabe. «Die Studie ist deshalb wichtig, da sie den Zusammenhang zwischen Diabetes der Mutter und dem ADHS-Risiko für das Kind in einem internationalen Kontext untersucht und bisherige Forschungsergebnisse in Frage stellt», sagt Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI).

«Frauen, die eine Schwangerschaft planen, sollten ihr ganzheitliches Risikoprofil betrachten, anstatt sich nur auf den Schwangerschaftsdiabetes zu konzentrieren.»

Prof. Ian Wong Chi-kei, Leiter der Abteilung für Pharmakologie und Pharmazie an der LKS-Fakultät für Medizin der Universität Hongkong

«Im Gegensatz zu früheren Studien, welche die Hypothese aufstellten, dass mütterlicher Diabetes während der Schwangerschaft das Risiko für ADHS deutlich erhöhen könnte, fand unsere Studie nach Berücksichtigung des komplexen Zusammenspiels verschiedener Einflussfaktoren nur einen bescheidenen Zusammenhang zwischen mütterlichem Diabetes und ADHS. Vor allem Geschwistervergleiche haben gezeigt, dass dieser Zusammenhang wahrscheinlich durch gemeinsame genetische und familiäre Faktoren beeinflusst wird, insbesondere im Fall von Schwangerschaftsdiabetes», erklärt Professor Wong. 

Er betont die Notwendigkeit einer genauen Betrachtung des jeweiligen Falls und die Bedeutung von zukünftiger Forschung. «Dies bedeutet, dass Frauen, die eine Schwangerschaft planen, ihr ganzheitliches Risikoprofil betrachten sollten, anstatt sich nur auf den Schwangerschaftsdiabetes zu konzentrieren», sagte er. «Für die künftige Forschung ist es von entscheidender Bedeutung, die spezifische Rolle genetischer Faktoren und einer angemessenen Blutzuckerkontrolle während der verschiedenen Stadien der embryonalen Gehirnentwicklung beim Menschen zu untersuchen.»

www.zi-mannheim.de

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