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Genetische Vielfalt besser überwachen

Die genetische Vielfalt ist entscheidend dafür, ob sich Arten an den Klimawandel anpassen können. Eine Studie, an der sich 52 Forschende, 60 Universitäten und Institute aus 31 Ländern beteiligten – darunter die Eidg. Forschungsanstalt WSL – zeigt, dass die Bemühungen zur Überwachung der genetischen Vielfalt in Europa unvollständig und unzureichend sind.
Als häufigste Laubbaumart der Schweiz erfüllt die Rotbuche viele Ökosystemleistungen. Durch die Klimaerwärmung, insbesondere vermehrte Trockenperioden, sind die Buchenbestände hierzulande zunehmend gefährdet. Genetische Varianten aus dem Süden, die besser angepasst sind an zukünftiges Klima, könnten deshalb für den Fortbestand der Schweizer Buchenwälder wichtig werden. (Bild: Markus Bolliger)

Die genetische Vielfalt ist entscheidend dafür, ob sich Arten an den Klimawandel anpassen können. Eine Studie, an der sich 52 Forschende, 60 Universitäten und Institute aus 31 Ländern beteiligten – darunter die Eidg. Forschungsanstalt WSL – zeigt, dass die Bemühungen zur Überwachung der genetischen Vielfalt in Europa unvollständig und unzureichend sind. Ein neuer Ansatz soll Schutzgebiete ermitteln, die für die Erhaltung der genetischen Vielfalt besonders wichtig sind.

Jedes Lebewesen unterscheidet sich von seinen Artgenossen durch Unterschiede im Erbgut. Die genetische Vielfalt ist eine Voraussetzung dafür, dass Pflanzen und Tiere sich anpassen können, wenn sich die Umwelt verändert. Ansonsten droht das lokale Aussterben oder die Abwanderung in andere Lebensräume. So ist die genetische Vielfalt einer der Schlüsselfaktoren, damit Arten überleben. Obwohl sie also ein grundlegender Bestandteil der biologischen Vielfalt ist, wurde sie bislang vernachlässigt. Im Rahmen des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Biodiversitätskonvention), das auch die Schweiz unterzeichnet hat, betonten die Mitgliedstaaten 2022, wie wichtig der Schutz der genetischen Vielfalt wildlebender Arten ist.

Studien zu wildlebenden Arten fehlen

Eine in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution veröffentlichte Studie hat nun untersucht, in welchen europäischen Ländern und bei wie vielen Arten die genetische Vielfalt bisher überwacht wird. Die Ergebnisse zeigen, dass entsprechende Bemühungen in Europa unvollständig sind und ergänzt werden müssen. «Langfristigen Untersuchungen, die zeitliche Veränderungen der genetischen Vielfalt erfassen, betreffen zumeist kommerziell genutzte Arten. Studien zu wildlebenden Arten, die auf Naturschutzmassnahmen angewiesen sind, fehlen weitgehend», erklärt WSL-Biologe Rolf Holderegger, Mitautor der Studie.

Rund 400 Pflanzen kommen nur in den Alpen vor und brauchen deshalb besonderen Schutz. (Bild: Patrice Descombes)

Die Studie erfasste alle Monitoringprogramme in Europa, bei denen langfristig und wiederholt die genetische Vielfalt erhoben wird. Dabei zeigte sich, dass in Südosteuropa – insbesondere in der Türkei und auf dem Balkan – grössere Anstrengungen nötig sind. «Ohne ein besseres Monitoring der genetischen Vielfalt laufen wir Gefahr, für die Zukunft wichtige genetische Varianten zu verlieren, da wir sie bisher nicht kennen», sagt Peter Pearman, Hauptautor der Studie. Ein besseres Monitoring würde es ermöglichen, Gebiete zu identifizieren, die für diese Varianten in Zukunft geeignet sind, und die entsprechenden Lebensräume zu schützen. Dies würde dazu beitragen, die genetische Vielfalt zu erhalten. Viele Arten wie die Rotbuche oder die Edelkastanie erbringen auch unschätzbare Leistungen für den Menschen, etwa bei der Wasserreinigung und der Klimaregulierung oder bezüglich Bodenstabilität.

Ökologische Randregionen als Reservoir

Die Ergebnisse legen nahe, dass die europäischen Monitoringprogramme angepasst werden müssen. Die globale Erwärmung übt grossen Druck auf viele Arten in Europa aus, insbesondere dort, wo diese an ihre klimatischen Grenzen stossen, weil es für sie zum Beispiel zu heiss oder zu trocken wird. Die Fähigkeit der Arten, mit grösserer Hitze oder Trockenheit umzugehen, ist mitentscheidend dafür, ob eine Art lokal überlebt oder nicht. In den klimatischen Grenzregionen ist es daher am dringendsten, die genetische Vielfalt zu messen, um die Überlebensfähigkeit der betreffenden Arten zu beurteilen und eine möglichst breite Basis der genetischen Vielfalt zu erhalten. So können die Raumplanung verbessert sowie Massnahmen zur Sicherung und Wiederherstellung von Ökosystemen stärker berücksichtigt werden. Denn diese tragen dazu bei, den Fortbestand der Arten und die von ihnen erbrachten Leistungen zu sichern.

Pflanzenarten: Verbreitungskarten der Schweizer Alpen

Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Land-, Küsten- und Wasserflächen der Erde durch Schutzgebietssysteme und andere «wirksame gebietsbezogene Erhaltungsmassnahmen» geschützt werden. Grundlage hierfür ist das Schlagwort «30 by 30», welches das dritte der 23 Ziele des Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework zusammenfasst – und auch die Alpen betrifft. Dieses Gebirge beherbergt allein 4500 Pflanzenarten, ohne die Moose mitzuzählen, und damit etwa ein Drittel der gesamten Flora Westeuropas. 400 dieser Gewächse leben ausschliesslich in den Alpen, deren Bedeutung demnach für die Biodiversität Europas wichtig ist.

Um herauszufinden, wie sich die Biodiversität der Alpenregion verändern wird, und um eine optimale Verteilung von Schutzgebieten planen zu können, damit sie – schon jetzt – mehr Artenvielfalt umfassen, erstellten WSL-Forschende digitale Verbreitungskarten einzelner Pflanzenarten. In diese Karten trugen sie existierende Schutzgebiete ein, deren Schutzstatus demjenigen des Smaragd-Natura 2000 Netzwerks und den Kategorien I und II der Weltnaturschutzunion (IUCN) entspricht – zum Beispiel den Schweizer Nationalpark. Hiervon ausgehend ermittelten sie mit Hilfe von Naturschutzplanungs-Simulationen Gebiete, die den Schutz der Pflanzen-Biodiversität im Alpenraum am besten erweitern und ergänzen – jetzt, 2050 und 2080. Dazu wurde das Mosaik der Schutzgebiete von 18 auf etwa 35 Prozent der Alpenfläche ergänzt.


In den am meisten vom Klimawandel betroffenen Regionen ist die Wahrscheinlichkeit auch am grössten, dass sich die für eine Anpassung nötigen genetischen Varianten durch entsprechende Selektion anhäufen. Diese ökologischen Randregionen können somit als Reservoir dienen, aus dem sich günstige Varianten durch genetischen Austausch in andere, später vom Klimawandel betroffene Teile des Verbreitungsgebietes ausbreiten können. Dies erhöht die Widerstandsfähigkeit einer Art insgesamt.

Peter B. Pearman, Baskenland-Universität

www.wsl.ch

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