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Der künstliche Pathologe

Ohne Hilfe eines Pathologen die Zellproben von Krebspatienten schnell und präzise analysieren? Der am Fraunhofer IPA entwickelte «Tissue Grinder», eine automatisierte Miniatur-Mühle für empfindliches Zellgewebe, macht dies möglich – und soll künftig in Kliniken zum Einsatz kommen.
Gerät für die automatisierte und enzymfreie Extrahierung von lebenden Zellen für die Untersuchung von Biopsieproben. (Bild: Fraunhofer IPA)

Ohne die Hilfe eines Pathologen die Zellproben von Krebspatienten schnell und präzise analysieren? Der am Fraunhofer IPA entwickelte «Tissue Grinder», eine automatisierte Miniatur-Mühle für empfindliches Zellgewebe, macht dies möglich – und soll künftig in Kliniken zum Einsatz kommen.

Während einer Krebsoperation werden schnell genaue Informationen über das entnommene Gewebe benötigt, um den Chirurgen bei seinen nächsten Schritten zu unterstützen. Dabei wird bisher eine Biopsieprobe an einen Pathologen geschickt, der beurteilt, ob das Gewebe gesund ist oder wie weit sich der Krebs ausgebreitet hat. Das kostet viel Zeit und Ressourcen.

In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Mannheim, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem Universitätsklinikum Erlangen ist es Forschenden des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts und des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin gelungen, die Zellanalyse und die anschliessende Bewertung durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz weitgehend zu automatisieren. Die in der Fachzeitschrift Nature Biomedical Engineering veröffentlichte Studie zeigt, wie ein «künstlicher Pathologe» hier künftig helfen kann.

1. Schritt: Gewebezerkleinerung

Im neuen Verfahren können mit dem «Tissue Grinder» lebende Zellen schneller gewonnen werden. Das von Dr. Jens Langejürgen und seinem Team entwickelte Gerät funktioniert ähnlich wie eine Gewürzmühle: Speziell geformte Klingen, die über ein Mahlwerk in Rotation versetzt werden, zerkleinern schonend das Gewebe, ohne dabei Zellen zu zerstören oder zu verändern. «Der Tissue Grinder entfaltet ein enormes Potenzial für die Probenvorbereitung in der Krebsdiagnostik und anderen medizinischen Anwendungen, insbesondere für diagnostische Analyseverfahren, die auf Einzelzellen basieren und die Grundlage für die personalisierte Medizin bilden», erklärt der Abteilungsleiter Klinische Gesundheitstechnologien. Bisher mussten die Zellen aufwendig von Hand herauspräpariert oder mit Enzymen herausgelöst werden, die wiederum Spuren auf der Zelloberfläche hinterlassen können und damit das Ergebnis der weiteren Untersuchungen beeinflussen.

Die automatisierte, schnelle und enzymfreie Extrahierung von lebenden Zellen vereinfacht die Untersuchung von Biopsieproben also wesentlich. «Die effiziente Probenvorbereitung am Anfang des diagnostischen Prozesses ebnet den Weg für modernste Analysemethoden wie die Echtzeit-Verformbarkeitszytometrie (RT-DC) oder Verfahren der künstlichen Intelligenz und verbessert zudem die Qualität der Analyseergebnisse. Wir sind überzeugt, dass der Tissue Grinder eine zentrale Rolle dabei spielt, die Diagnose von Krankheiten zu optimieren und damit eine schnellere und genauere Behandlung der Patienten zu ermöglichen», erklärt Stefan Scheuermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IPA.

2. Schritt: Physikalische Analyse der Zelleigenschaften

Im nächsten Schritt werden die gewonnenen Einzelzellen mit der Echtzeit-Verformbarkeitszytometrie (RT-DC) analysiert. Dabei handelt es sich um eine im Labor von Prof. Jochen Guck entwickelte markierungsfreie Methode zur Analyse der Zellverformbarkeit, die physikalischen Eigenschaften von bis zu 1000 Zellen pro Sekunde analysiert und 36-tausendmal schneller ist als ältere Methoden. Ähnlich wie das Abtasten bei einer ärztlichen Untersuchung liefert die Verformbarkeit von Zellen wichtige Informationen. Um diese zu nutzen, werden einzelne Zellen mit hoher Geschwindigkeit durch einen mikroskopischen Kanal geschoben, wo sie sich unter dem Druck und der Belastung verformen. Anhand der Bilder, die dabei aufgenommen werden, können Wissenschaftler dann physikalische Eigenschaften wie Form, Grösse und Verformbarkeit bestimmen.

3. Schritt: Bewertung durch KI

Um eine Diagnose zu stellen, müssen die Ergebnisse der physikalischen Analyse in einem letzten Schritt bewertet werden. Den Max-Planck-Wissenschaftlern ist es gelungen, ein KI-Modell zu entwickeln, das die komplexen Datensätze der RT-DC-Analyse auswertet und anschliessend Aussagen darüber treffen kann, ob eine Probe Tumorgewebe enthält oder nicht. Ausserdem konnte der Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Bedeutung der Zellverformbarkeit als Biomarker bestätigen.

Das gesamte Verfahren nimmt von der Gewebeprobe bis zur Bewertung der Ergebnisse weniger als 30 Minuten in Anspruch und kann ohne ausgebildeten Pathologen oder Physiker durchgeführt werden. Künftig sollen davon aber insbesondere die Patienten profitieren: Wenn die Zellanalyse bereits während einer Operation durchgeführt wird und nahezu sofort die richtigen Behandlungsschritte eingeleitet werden, bleibt den Patienten oft eine erneute OP erspart.

Weiter kann die Methode auch eingesetzt werden, um Gewebeentzündungen in einem Modell für entzündliche Darmerkrankungen (IBD) nachzuweisen. Das nächste Ziel der Forschenden: Herauszufinden, wie das Verfahren der automatisierten Zellanalyse am besten in Kliniken angewendet werden kann, um die klassische pathologische Analyse zu unterstützen und zu ergänzen.

www.ipa.fraunhofer.de

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