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Ein digitales System schneidert Polymere auf Mass

An der Universität Bayreuth wurde ein digitales System entwickelt, das aus rund 100 Millionen theoretisch möglicher Polymere mit einer bisher unerreichten Geschwindigkeit jene Materialien herausfiltert, die sich für anvisierte Anwendungen am besten eignen.
Prof. Dr. Christopher Kuenneth, Universität Bayreuth: Auf dem Bildschirm ist die atomistische Struktur eines Polymers mit Kohlenstoff-Atomen (graue Kugeln) und Wasserstoff-Atomen (weisse Kugeln) sichtbar. (Bild: UBT, Chr. Wißler)

An der Universität Bayreuth wurde ein digitales System entwickelt, das aus rund 100 Millionen theoretisch möglicher Polymere mit einer bisher unerreichten Geschwindigkeit jene Materialien herausfiltert, die sich für anvisierte Anwendungen am besten eignen.

Die von uns eingesetzten Polymere stellen nur einen kleinen Ausschnitt aller Polymere dar, die es theoretisch geben könnte. Ein an der Universität Bayreuth und am Georgia Institute of Technology in Atlanta entwickeltes System schafft im potenziellen Materialiendschungel Übersicht. «Polybert» behandelt die chemische Struktur von Polymeren wie eine chemische Sprache: Jedes Wort, das in dieser Sprache gebildet werden kann, ist eine eindeutige Bezeichnung für ein theoretisch mögliches Polymer. Molekulare Bausteine und Struktur des jeweiligen Polymers spiegeln sich in dieser Bezeichnung wider.

Aufbauend auf neuen Erkenntnissen aus der Sprachwissenschaft und der Informatik wurde Polybert trainiert und zu einem lernenden System entwickelt. Der Name soll an die interdisziplinäre Vernetzung der Kompetenzen erinnern, aus denen das digitale System hervorgegangen ist: Erkenntnisse, Konzepte und Techniken aus der Polymerchemie, der Linguistik und der natürlichen Sprachverarbeitung sowie der lernenden Künstlichen Intelligenz bilden seine Grundlage.

Von der Polymersprache zu digitalen «Fingerabdrücken»

In einem ersten Schritt hat das digitale System die Bezeichnungen von rund 100 Millionen theoretisch möglicher Polymere gelernt. Es handelt sich hierbei um Kombinationen molekularer Einheiten, die in rund 13 000 Polymeren enthalten sind. Dank dem Training versteht es die Polymersprache und kann die Bausteine und Strukturen von rund 100 Millionen Polymeren richtig identifizieren. Das System kann die Polymersprache sogar selbständig anwenden. Es ist imstande, weitere Bezeichnungen bisher unbekannter, aber theoretisch möglicher Polymere zu erzeugen.

Mit der hohen chemischen Sprachkompetenz ist eine weitere Fähigkeit verknüpft: Polybert übersetzt die Bezeichnungen der ihm bekannten Polymere automatisch in numerische Darstellungen, in sogenannte «Fingerabdrücke». Jeder Fingerabdruck ist ein aus Zahlen bestehendes Codewort, an dem sich die Bausteine und die Struktur des jeweiligen Polymers eindeutig ablesen lassen. Diese automatische Erzeugung digitaler Fingerabdrücke ist weitaus weniger fehleranfällig, als wenn Menschen die Aufgabe übernehmen würden, jeder chemischen Struktur eines bekannten Polymers ein derartiges Codewort zuzuordnen.

Polybert erhält seine enorme praktische Relevanz nun dadurch, dass es von den Forschern über eine Vielzahl charakteristischer, für technologische Anwendungen besonders relevanter Polymereigenschaften belehrt wurde. Das System ist daher in der Lage, Fingerabdrücke und Eigenschaften von Polymeren eindeutig zueinander in Beziehung zu setzen. Neuartige informatorische Komponenten aus dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz bewirken, dass es mit hoher Präzision und einer bisher unerreichten Geschwindigkeit aus den 100 Millionen theoretisch möglicher Polymere genau diejenigen Polymere herausfiltern kann, die für bestimmte Anwendungsziele benötigt werden. «Unsere Forschung hat das Potenzial, das theoretische Design, die Synthese und die technologische Anwendung von Polymeren erheblich zu beschleunigen», sagt Dr. Christopher Kuenneth, Professor für Computational Materials Science an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität Bayreuth.

Bioabbaubare Kunststoffe identifizieren

Dass der informatorische Ansatz in der Polymerforschung relevant ist, zeigt die Problematik der Verschmutzung durch Plastikabfälle. Das System kann die Suche nach neuen Biopolymeren, die herkömmliche Kunststoffe ersetzen, wesentlich beschleunigen: Die Autoren der Studie haben unter den rund 1,4 Millionen möglichen chemischen Kandidaten 14 biologisch herstellbare und -abbaubare Polymere identifiziert, welche derzeit übliche Industriekunststoffe ersetzen könnten, sobald es dafür schnelle und kostengünstige Syntheseverfahren gibt. Polybert wurde in der Fachzeitschrift Nature Communications vorgestellt.

www.uni-bayreuth.de

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