Ethernet erobert seit der Vorstellung der neuen physikalischen Schicht «Advanced Physical Layer» (APL) wie keine Kommunikationstechnik zuvor die Anlagentechnik in den Prozessindustrien. Als Rundumtalent erfüllt es die speziellen Anforderungen der Anwender in Chemie und Co. und eröffnet so die Nutzung der vielfältigen Möglichkeiten digitaler Anwendungen.
Die grossen Anwender stehen bereits hinter der neuen Kommunikationstechnologie: Nachdem die Datenübertragungstechnik Ethernet Jahrzehnte lang nur in den Büroräumen der chemischen Industrie genutzt werden durfte, ist sie jetzt zu einem grossen Hoffnungsträger in Sachen Digitalisierung geworden. Grund für diesen Sinneswandel sind die Eigenschaften der neuen physikalischen Schicht, also «Advanced Physical Layer», oder kurz APL für die Ethernet-Technologie. Mit Ethernet APL ist es nun möglich, dass die Geräte in der Prozessindustrie mit hoher Geschwindigkeit und über Distanzen bis zu 1000 m miteinander kommunizieren. Strom- und Kommunikationssignale können über ein einziges zweiadriges Kabel geführt und typische Topologien in der Prozessautomatisierung wie Trunk and Spur aufgebaut werden. Und ein weiteres früheres Totschlagargument ist entfallen: Ethernet-APL kann sicher auch innerhalb explosionsgefährdeter Bereiche betrieben werden. Diese und weitere Eigenschaften wurden unter anderem bereits von der BASF SE in Ludwigshafen in einem aufwendigen Testaufbau überprüft. APL-Prototypen verschiedener Hersteller bestanden die Labortests von der Installation über die Inbetriebnahme bis hin zum automatischen Gerätetausch.
«Büro»-Ethernet | Ethernet-APL |
RJ45-Verbinder | Steckverbindungen für raue Umgebungsbedingungen |
4-polig / 8-polig | 2-Draht-Verkabelung |
Separate Spannungsversorgung | Ein Kabel für Spannungsversorgung und Daten |
Privatbereich und Büroumgebung | Eignung für explosionsgefährdete Bereiche |
100 Mbit/s | hohe Geschwindigkeit und Bandbreite |
Kabellänge max. 100 m | Kabellängen bis zu 1000 m |
Karl Büttner, Product Manager Plattforms bei Endres+Hauser leitet das Ethernet-APL-Marketing- und Launch-Team. Seiner Erfahrung nach erfüllt sich so der langjährige Wunsch vieler Anwender, nahtlos von der Unternehmensebene in die Anlagenwelt und sogar bis hinunter in das einzelne Feldgerät zu schauen, Daten abzurufen und zu aggregieren sowie Probleme und Aufgaben der Mess- und Regeltechnik aus der Leitwarte aus zu lösen. «Beim Engineering, also sozusagen die Programmierung der Anlage, können viel mehr Automatismen genutzt werden, als bei analogen Geräten», sagt Büttner.
Kostenersparnis über den ganzen Lebenszyklus
Ein Startvorteil, der sich im weiteren Lebenszyklus fortsetzt: Die Anlage geht nicht nur um die beim Engineering eingesparte Zeit schneller produktiv, sondern sie verdient darüber hinaus früher Geld, weil auch die Inbetriebnahme einer Anlage, die mit Ethernet-APL kommuniziert, deutlich schneller abläuft. Neben diesen Investitionseinsparungen ergeben sich auch Kostenvorteile im Betrieb der digital ausgestatteten Anlagen. Es entstehen flexiblere Produktionen mit automatisierten Prüfabläufen. Zusammen mit einer einfacheren Instandhaltung sorgen sie für eine bessere Anlagenperformance, geringere Stillstandzeiten und niedrigere Wartungskosten.
Die Anlage verfügt über mehr Daten mit höherer Auflösung. Wartungsintervalle können so besser gesteuert werden und die Verfügbarkeit ist insgesamt höher durch die Nutzung intelligenter Geräte und Methoden. Die digitale Kommunikation und Ethernet-APL sparen Zeit bei der Auslegung, dem Hochfahren, im Betrieb und bei der Wartung der Anlagen. Somit trägt eine Ethernet-APL-Anlage über den gesamten Lebenszyklus einen deutlich höheren Anteil zur Rendite bei als ein analoger Betrieb.
Besser gewappnet gegen Störungen
Mit APL werden die Anlagen zudem «schlauer»: Neben dem eigentlichen Messwert wie dem Massedurchfluss erhält der Anwender zusätzliche Informationen, wie Dichte, Temperatur oder Informationen über den Zustand seiner Anlage. «Ein wichtiger Aspekt, den wir häufig mit Kunden diskutieren: Beim Ausfall einer Messstelle kann die Messgrösse gegebenenfalls von einem anderen Gerät als Überbrückung bis zur Reparatur übermittelt werden. So ermöglichen zusätzliche Messwerte auch Redundanz für Messtechnik im Störungsfall», so Büttner. Grundsätzlich zeigten viele Kundengespräche, wie hoch das Interesse an der Technik bei Verantwortlichen für die unterschiedlichen Bereiche der Anlagen sind. Die dabei immer wieder benannten Vorteile von Ethernet-APL betreffen den gesamten Lebenszyklus der Anlagen:
- Nutzen im Engineering: Durchgängige Engineering-Konzepte, die mit Ethernet-APL möglich werden, vereinfachen die Planung und Auslegung der Überwachung, Steuerung und Datenerfassung in den Anlagen. HMI, Überwachung, Steuerung und Datenerfassung werden vereinfacht und es entsteht eine Feldgeräte-Infrastruktur ohne Systembrüche. Die Planung von Gateways und Protokollkonvertern entfallen und Explosionsschutz-Nachweise (2-Wise) sind einfacher zu erbringen. Zudem steigen die Freiheiten bezogen auf die Topologie- und Redundanzkonzepte.
- Nutzen bei der Inbetriebnahme: Eine durchgängige Automatisierung soll grundsätzlich Kapazitäten frei machen, die Reproduzierbarkeit von Vorgängen sicherstellen und hohe Qualitätsstandards ermöglichen. Die Einrichtung einer Instrumentierung ist jedoch alles andere als ein Selbstläufer. Ethernet-APL kann auch hier die Arbeitsabläufe beschleunigen. So kann die initiale Geräte-Parametrierung automatisiert und aus der Ferne ablaufen, genauso wie die spätere Feinjustierung. Auch die mechanische Verdrahtung geht schneller von statten: Vorhandene Feldbuskabel können genutzt, die Zweileiterkabel verpolungssicher verbunden und anschliessend mit einer Netzwerkdiagnose überprüft werden. Geräte-Adressen werden automatisch vergeben und manuelle Loop-Checks entfallen.
- Nutzen im Anlagenbetrieb: Anwender sind auch während der Produktion ständig auf der Suche nach Optimierungspotenzial. Ausbeuten sollen maximiert und Edukt- sowie Energieeinsatz optimiert werden. Auch ist absehbar, dass auf viele Betreiber zukünftig vermehrt wechselnde Rohstoffe bzw. Rohstoffqualitäten zukommen werden. Ein schnelles und sicheres Netzwerk unterstützt bei der Anpassung des Betriebes. Auch in Hinblick auf die Performance-Optimierung hilft die schnelle Bereitstellung hochauflösender Prozessdaten. Berichte sowie Vergleiche mit anderen Anlagen können mit Ethernet-APL häufiger und ausführlicher stattfinden, das 10 000-mal schneller als Hart-Protokolle und noch 300-mal schneller als Feldbusse ist. Der Datenfluss stört die eigentlichen Steuerungsaufgaben dabei nicht und kann gemäss «Namur Open Architecture» (NOA) auf einem zweiten Kanal rückwirkungsfrei übertragen werden – ganz ohne zusätzliche Kabel oder Drahtlosschnittstellen auf dem gleichen Medium.
- Nutzen bei Wartung, Reparatur und Überholung: Routinen und Diagnosen sollen dazu beitragen, Geräte und Instrumente in den Anlagen zustandsorientiert zu reparieren oder zu ersetzen. Ethernet-APL verkürzt die Abstände zwischen den Prüfungen und erlaubt mehr und tiefere Checks der Assets. Korrosion, Abrasion, Ablagerungen, mechanische oder thermische Belastungen sowie Sensordrift können durch ein modernes Condition Monitoring identifiziert werden. Im Falle eines Austausches werden die Parameter – grössere Datensätze eingeschlossen – aus dem Back-up wieder aufgespielt und aus der Ferne konfiguriert. So läuft die Produktion schneller wieder an und die Verfügbarkeit der Anlage steigt.
Zügiger Download mit Ethernet-APL
Die Zeit, die es benötigt, die Geräteparameter eines smarten Feldgerätes herunterzuladen klingt mit acht Minuten im Falle der analogen Hart-Technologie noch praktikabel. Bedenkt man jedoch, dass in einer Anlage typischerweise Hunderte Geräte bearbeitet werden müssen, wird die Dimension der Zeitersparnis mit Ethernet-APL deutlich:
Downloadzeit für 200 Geräte:
- Hart: 1 Tag, 2 Stunden und 40 Minuten
- Feldbus: 10 Stunden
- Ethernet-APL: 33 Minuten
Quelle: E+H
Verfügbarkeit ist gegeben
Viele Anwender, die überlegen, auf eine neue Technologie wie Ethernet-APL zu setzen, thematisieren die Lieferfähigkeit entsprechender APL-Hard- und -Software. Die Verantwortlichen in Engineering, Beschaffung und Betrieb der Anlagen wollen unbedingt einen Flickenteppich an unterschiedlichen Systemen in ihren Betrieben vermeiden. Daher ist es für einen Anbieter wie Endress+Hauser essentiell, schnell einen signifikanten Anteil des Produktportfolios fit für die neue Technologie zu machen. Mit diesem Bewusstsein wurde unter Hochdruck daran gearbeitet lieferfähig zu sein: Bereits zu Beginn des kommenden Jahres 2023 werden aus jedem der Bereiche Durchfluss, Füllstand, Druck und Temperatur teilweise mehrere Messprinzipien mit dem Ethernet-APL-Protokoll verfügbar sein. Und auch die Schnittstellen zum Anwender, der Tablet-PC Field Xpert, die Gerätekonfigurationssoftware FieldCare und das IIoT-Ökosystem Netilion von Endress+Hauser sind mit den entsprechenden Funktionen ausgerüstet.
Frank Jablonski, Mylk+Honey, im Auftrag von Endress+Hauser